Trauer um die Mauer?

Manfred Karge besorgte im Wiener Akademietheater die Uraufführung seiner „MauerStücke“. Peymann hat es durchgehen lassen.  ■ Von Dieter Bandhauer

Die ersten Jahre von Claus Peymanns Direktionszeit am Burg- und Akademietheater liefen, wie hinlänglich bekannt, nicht ohne Schwierigkeiten zwischen dem alteingesessenen und dem von ihm mitgebrachten neuen Ensemble ab. Daß er jedoch Manfred Karge, der ebenfalls mitgekommen war, anscheinend weiterhin alles durchgehen läßt, wird gerade zu einem Zeitpunkt, wo Peymann von 'Theater heute‘ bescheinigt wurde, aus Wien die deutschsprachige Theaterstadt gemacht zu haben, besonders ärgerlich.

Als Regisseur lieferte Karge bis jetzt mittelmäßige Arbeit — als Autor nicht einmal das. Im Vorjahr waren die Kritiker noch über seinen dürftigen Versuch erstaunt, sich mit dem in Wien spielenden Lenau- Stück Lieber Niembsch der Stadt thematisch zu nähern. Nach der Uraufführung der MauerStücke kann man nur noch konstatieren, daß seine „Rückkehr“ nach Berlin weit fataler ausgefallen ist.

Karges Dramolette sind ideologisch, formal und sprachlich eine Katastrophe. Nicht daß es illegitim wäre, gegen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu sein, bzw. kritische Anmerkungen zur Art und Weise des Vollzugs des Zusammenschlusses zu machen. Auch der Gedanke, daß das Gebiet der ehemaligen DDR vorerst zur, im doppelten Wortsinn, deutschen Kolonie wird, ist erlaubt. Doch wegen des Abrisses der Berliner Mauer ist eine zum Katzenjammer herabgekommene Trauerarbeitsallüre noch lange nicht angebracht.

Gleich im ersten Stück, metaphorisch „Joseph und Maria“ benannt, eröffnet ein Westberliner Ehepaar programmatisch die falsche Alternative: „Friedenswall“, sagt er, „Schandbau des Jahrhunderts“ sie. Im gestelzten Versmaß quälen sich Martin Brambach und Lore Brunner, einander aus der 'Bild‘-Zeitung vorlesend, durch die vom „Revolverblatt“ geschriebene Geschichte von einem „halben Knaben“, der auf der Westseite der Mauer gefunden wurde. Dieser einem Ost-West-Verhältnis entsprungene Knabe wurde von der Mutter — weil sie mit dem Vater des Kindes nicht zusammenkam — geteilt und eben zur Hälfte über die Mauer geworfen.

Daß es im Schatten der politischen Mauer private Tragödien gibt, wird auf Lokalseiten gern zum rührenden Politikum — bei Karge hingegen zum politischen Rührstück, dem er mit Ironie vergeblich zu entkommen hofft, ist er doch schon vorher seiner Metaphorik auf den Leim gegangen.

Nach dem halben Zwilling der doppelte Schmidt. Im zweiten Dramolett, „sicher ist sicher“, gerät Herr Schmidt, ein Stasi-Spitzel, in die Zwickmühle, einen anderen Schmidt und doch sich selbst zu denunzieren. Hans Dieter Knebel spielt ganz amüsant einen betulichen Typen, der kein Mittel findet, seiner eigenen Logik zu entgehen. Im übrigen ist dies ein flott gespielter Schülerschwank, der nur noch von der Nibelungen-Parodie „Ostfotze“ unterboten wird. Gunther aus dem Westen muß Brunhilde dreimal beschlafen, um sie zu erobern. Dabei muß ihm Siegfried, der Held der Arbeit aus dem Osten, „etwas unter die Schenkel greifen“, denn außer Sprüchen — „Wer sonst, meine kleine Ostfotze. Jetzt werd ich dir mal zeigen, was so ein Westschwanz kann“ — ist bei ihm wenig los. Die Regie paßt sich diesem Niveau problemlos an, die Schauspieler haben damit schon eher ihre Schwierigkeiten. Vor Oda Thormeyers Brust baumeln zwei rosarote Luftballons als Brunhildens Busen. Einer der Ballons platzt — selbst diesen Gag kann Karge sich nicht verkneifen.

Das größte Unglück jedoch sind die Reime. „Verzeih, wenn ich ein wenig hinke./Wo ist der Unglücksschuh, der linke?“, verseschmiedet im „Fehltritt“ die Ostfrau, die ihr Liebhaber bei ihrem ersten Besuch im Westen des „Deutschland einig Vaterlandes“ nicht mehr erkennen will. Hervorragende Schauspieler wie Therese Affolter und Hermann Schmid sind selber schuld, wenn sie über solche Texte stolpern, an denen man nicht einmal scheitern kann.

Den Schlußpunkt der Talfahrt setzt „Der Schwanendreher“ — ein Stückerl Apokalypse, in dem ein Engelchen, ein Indianer, Adam und Eva, ein Neufundländer und ein Pinguin mit Sohn in einem von einem Ami und einem Russen gelenkten Raumschiff vor den Deutschen Zuflucht suchen, die wieder einmal die Welt erobern. Glücklicherweise hat es auch noch Rübensahm, einen Deutschen, hierher verschlagen, der dem Publikum erklären kann, daß der Schwanendreher ein Bratschenkonzert von Paul Hindemith ist — „Sinnbild des heimatlosen Künstlers, 1935 geschrieben“.

Beneidenswert die Raumschiffinsassen, die den Schwanendreher von Hindemith hören, aber nicht den von Karge ansehen müssen.

Manfred Karge: MauerStücke; Regie: Karge; Bühne: Heidi Brambach; mit Therese Affolter, Lore Brunner, Hermann Beyer, Samuel Weiss; Akademietheater Wien.