Ben Bella als Joker im Wahlkampf

■ Noch ist kaum abzuschätzen, welche politischen Allianzen der Rückkehrer eingehen wird

Wird Ben Bella nach einer glanzvollen politischen Rückkehr den Weg zu einer neuen Präsidentschaft beschreiten? Der erste algerische Präsident nach der Unabhängigkeit hatte seinen Präsidentenposten 1965 bei einem Militärputsch verloren. Schon vor seiner Ankunft in Algier gab er in verschiedenen Interviews als sein vorrangiges Ziel an, eine politische Koalition zu schaffen und das Regime der FLN zu stürzen. Ben Bella fordert den Rücktritt der Regierung schon vor den Wahlen im Februar nächsten Jahres. Die herrschende FLN hat vor allem die Konkurrenz der islamischen Fundamentalisten, organisiert in der „Front Islamique du Salut“ (FIS), zu befürchten, die bei den Kommunalwahlen im Juni große Gewinne verzeichnen konnten und sämtliche wichtigen Städte unter ihre Kontrolle bekamen. Die Kommunalwahlen waren die ersten Wahlen seit 1962. Daß es überhaupt dazu kam, war das Ergebnis einer blutigen Hungerrevolte im Oktober 1988, die Präsident Chadli Benjedid zu einer umfassenden Demokratisierung des Landes veranlaßte. Die FLN gab ihr Machtmonopol auf, verabschiedete im Februar '89 per Volksabstimmung eine neue demokratische Verfassung und legalisierte 23 Parteien. Wie schon bei den Kommunalwahlen wurde bislang auch für die nationalen Wahlen im Februar mit einem Sieg der Fundamentalisten gerechnet. Allerdings mußten die Fundis auch einige Rückschläge einstecken. Ende Juli gab es größere Protestdemonstrationen, bei denen vor allem die Frauen auf die Straße gingen, um gegen ein Gesetz zu protestieren, das dem Ehepartner erlaubt, für den jeweils anderen mitzuwählen. Religiöse Verbote im kulturellen Bereich stießen bei dem jugendlichen Wählerpotential der FIS auf starke Ablehnung.

Mit der Rückkehr Ben Bellas scheint jetzt eine Allianz nicht religiöser Oppositionsgruppen möglich, die von Ben Bellas Demokratiebewegung geführt wird. Andererseits bekennt sich Bella seit längerem zum Islam und hat in der Vergangenheit die Fundamentalisten gegen die FLN durchaus aktiv unterstützt. Möglicherweise steuert er nach den Wahlen im Februar eine Allianz mit der FIS an. Offiziell hat er bislang keine Kandidatur für die Präsidentschaft angekündigt, doch wird allgemein angenommen, daß er gewinnen könnte, wenn er gegen Chadli Benjedid antritt, dessen Amtsperiode 1993 abläuft.

Edgard Pisani, Präsident des Instituts der Arabischen Welt, einer Kulturorganisation mit Sitz in Paris, hält Ben Bella für den einzigen Politiker, der in der Lage wäre, den Prozess der Polarisierung der algerischen Gesellschaft aufzuhalten, an deren Polen einerseits die ökonomische Mißwirtschaft der FLN, andererseits der zunehmende Effekt der Fundamentalisten, besonders bei der jüngeren Generation, stehen.

In Algerien wird die Arbeitslosenquote auf derzeit 25 Prozent geschätzt. Drei Viertel der insgesamt 24 Millionen Algerier sind jünger als 30 Jahre. Jedes Jahr wächst die Bevölkerung um mehr als drei Prozent. Im Jahr der Revolte gelang es der FLN, rund 95.000 Arbeitsplätze zu schaffen, doch es hätte bereits damals mindestens 200.000 neuer Jobs bedurft, um die Situation nicht weiter zu verschlimmern. Ben Bellas Prestige speist sich dagegen allein aus der Vergangenheit, ist in der Arabischen Welt aber scheinbar ungebrochen, obwohl er verantwortlich für die Einführung der Geheimpolizei war, für die Einführung der Einparteienherrschaft und für die Einführung der marxistischen Planwirtschaft, die das Land an den Rand des Ruins getrieben haben. Noch immer umgibt den Befreier Algeriens vom französischen Joch eine mystische Aura. Ein Mythos des Arabischen Nationalstolzes gegenüber der von vielen frustrierten Arabern empfundenen fortgesetzten Kontrolle des Westens über ihre Region.

Dieser Vorschuß könnte Ben Bella in die Lage versetzen, auf diplomatischer Ebene einige Veränderungen im Mittleren Osten zu bewegen. In seinen letzten Stellungnahmen befürwortete Ben Bella die Durchführung einer internationalen Konferenz zur Lösung der drei Krisen der Region: Golf, Libanon und Palästina. J.G.