Body und Bildung

■ Gebildete Körper beim Berliner Bären-Cup der Körperkulturisten

Nach penibelsten Backstage-Recherchen und unter besonderer Berücksichtigung aller gängigen Vorurteile bleibt die revolutionäre Erkenntnis: Der durchschnittliche Bodybuilder hat keinen kleineren Kopf als andere Menschen. Alles eine optische Täuschung, hervorgerufen durch vorgelagerte riesige Muskelberge, die es deutlich erschweren, den Übergang Schulter- Hals-Kopf auszumachen. Hinzu kommt eine meist relativ geringe Körpergröße, die das Verhältnis Breite zu Höhe und Muskeln zu Kopf rein optisch nochmals negativ beeinflußt.

Bleibt festzustellen: Muskelmasse korreliert nicht mit und schon gar nicht reziprog zur Hirnmasse. Will heißen: Bodybuilder sind nicht per Definition blöd. Was wiederum an Freaks' Weltbild rüttelt. So schön kann man sich, graue Falten um Bauch und Augen, aufs Hämischste lustig machen über gut geölte Kraftmeier, die sich narzistisch auf der Bühne drehen und wenden. Zugegebenermaßen entbehrte am Wochenende die Szenerie in der Werner-Seelenbinder- Halle in Ost-Berlin nicht einer gewissen Komik. Tagesparole: Die gestrengen Augen der schwarz beanzugten Jury sollen den Bär von Berlin ermitteln.

Ein überaus seriös wirkender Endvierziger im dunklen Tuch, graumeliert mit Brille (ganz der Brite) bietet die Bärenanwärter feil, die sogleich knapp bekleidet die Bühne erklimmen, die gänzlich auf das Wesentliche reduziert war — weder römische Säulen noch altertümliche Skulpturen sollen Assoziationen an Sklavenmärkte erwecken. Statt dessen ertönt laute Disko-Musik, Nebelschwaden steigen auf, und schon fangen die Bären an, sich elfengleich und mit gewinnendem Lächeln in die verschiedensten Haltungen zu werfen.

„Doppelbizeps“, ordert der Brite, „eine viertel Drehung zur seitlichen Trizepspose, Latissimus raus, Abschlußpose Bauch und Beine.“ Unglaublich, wie hügelig ein menschlicher Körper sein kann! Allüberall beulen sich quer- und längsgestreifte Partien heraus, auf denen wulstige Adern wie Borten aufgenäht heraustreten. Jeden Moment drohen die Bären zu platzen, aber immer wieder rechtzeitig wechseln sie die Pose und blasen eine andere Stelle ihres Luxuskörpers auf. Nach der Pflicht und der Kür folgt das Posedown. Alle zusammen sind auf der Bühne und dürfen sich eine Minute lang produzieren. Bewertet wird die Posenchoreographie, die einzelnen Muskeln, deren Geschmeidigkeit und die gesamte Körperkomposition.

Kampf der Giganten: Da wird hinter verbissenem Lächeln gerangelt, gedrängelt, geprotzt. „Mein Gott, der ist ja definiert bis auf die Knochen“, begeistert sich ein fachkundiger Fan, „Schau dir diese Bolzen an, und den enormen Titt.“ Und schon ist die Minute um, die Helden werden hinter die Bühne gerufen, hinein in eine Welt aus Tiroler Nußöl, Plastikbadelatschen, Bienengiftsalbe und Masseur. Letzterer eilt sofort herbei, den kostbaren Körper zu salben und zu ölen, auf daß das Relief noch gebirgiger erscheine.

Schwer atmend und völlig erschöpft sind sie nach wenigen Posing-Minuten, und so wird flux das Make-up erneuert, bevor die Muckies wieder ran müssen. Mit Expandern, notfalls dient der Trainer als Kraftmaschine, an dessen Armen der Bär wie wild geworden pumpt. Noch ein paar Lächel- Übungen, eine letzte Ladung Öl schmatzt zwischen die knallharten Arschbacken, und schon geht's wieder auf die Bühne.

„Bodybuilding: Körpergestaltung, Körperkulturistik. Sportlich umstritten“, steht im Sport-Brockhaus. Zu Unrecht. Sicher hat die ganze Atmosphäre was von Marktschreierei und Kirmes. Sicher läuft der Narzißmus hier in eigentümlicher Form zu Höchstform auf. Was aber alles nichts mit dem sportlichen Aspekt zu tun hat. Man denke nur an die Formel eins. Und schließlich erträgt man auch verschwitzte, schreiende, tretende, goldkettchenbehängte Fußballspieler allsonntäglich.

Auch das Argument, die vielen Muskeln wären gar unfunktionabel, stimmt zwar zum Teil, tut aber nichts zur Sache. Ein Gewichtheber kann sich mit Sicherheit schlechter bewegen als ein Bodybär. Und daß es in Wahrheit nicht um Muskeln geht, beweisen die Schach- oder gar Skatspieler. Die findet das Lexikon übrigens sportlich nicht umstritten. Doch auch am Denkvermögen kann sportliche Akzeptanz nicht festgemacht werden. Denn die Bodybuilder-Zeitschriften sind nichts für Blöde: „Die zelluläre Umgebung wird durch den Aufbau von Milchsäure acidisch, und die Milchsäure deaktiviert andere Enzyme innerhalb der Zelle, die eigentlich dem Energietransfer assistieren sollen.“ Alles klar, Herr Matthäus? miß