Die Traummeister

■ Ein phantastischer Roman aus der alten DDR

Ist einer gekommen, der kann träumen, Glauke, TRÄUMEN!“ Die Ankunft des Fremden verändert das Leben von Miscara, der mittelalterlichen Stadt ohne Träume. Jahrhundertelang hatten auserwählte Traummeister die Nächte der BürgerInnen mit Bildern erfüllt — bis der Rat der Stadt eines Tages beschloß, Träume seien nicht mehr notwendig. So entwarf der letzte Traummeister noch schnell die Vision einer immerfleißigen, industriell erblühten Stadt und trat ohne Nachfolger ab. Seitdem lebten die Menschen von Miscara eben ohne Tagschwärmereien und nächtliche Utopien, berauscht allenfalls von Drogen und widerstandslos betäubt von den giftigen Staubstürmen des nahen Erzbergwerkes. Doch mit Fleiß & Industrie wollte es nicht so recht aufwärtsgehen, denn das Engagement der MiscarerInnen erschöpfte sich fortan im Dienst nach Vorschrift...

Kilean, der Fremde, soll dies nun ändern und der Stadt zu neuer Blüte und größerem Reichtum verhelfen, indem er den Menschen wieder tatkräftige Visionen einflüstert: „Ihr werdet miteinander teilen, die angenehmen Dinge des Lebens wie die unangenehmen: Arbeit und Brot, Behausung und Bekleidung, das Wasser und, nicht zu vergessen, das Wissen. Wir werden Not und Armut überwinden und die Sorge um den morgigen Tag, wir werden den Kindern Platz zum Spielen einräumen und denen feste Werkplätze geben, die sich täglich aufs neue verdingen mußten. Die Zeit ist angebrochen, in der die Träume Wahrheit werden.“

Doch die große, durchaus fortschrittliche Utopie scheitert an ihren inneren Widersprüchen und Unzulänglichkeiten, an der Unmöglichkeit, alle individuellen Interessen und Möglichkeiten in den Träumen eines Vordenkers zu bündeln. Zumal der neue Traummeister sich einerseits auf dem Weg ins mythische Zentrum seiner Macht selbst überschätzt, andererseits auch mal von den Vorgaben des Rates abweicht, eines Nachts gar — unter dem Einfluß einer feministischen Zauberin — die industrielle Basis Miscaras bedroht und einfach die Schließung des dreckausstoßenden, die Arbeiter versklavenden Bergwerkes erträumt. Der Rat hat alle Mühe, die Träume des Meisters für das Volk „umzudeuten“. Ein Schelm, wer darin nicht aktuelle Bezüge zu erkennen vermag...

Wie schon mit ihren Romanen „Andymon“ und „Pulaster“ — beides Meilensteine der kritischen DDR-Science-Fiction — ist es den Steinmüllers wieder einmal gelungen, im exotischen Fantasy-Gewand einer scheinbar fremden Welt ein brisantes Stück Kritik und Gegenutopie an der Zensur vorbei zu schreiben. Denn „Der Traummeister“ ist kein frühes Werk einer Literatur nach der Wende: die Druckgenehmigung kam lange vor dem Sturz der SED, die Auslieferung verzögerte sich lediglich aufgrund von Komplikationen mit dem Illustrator, der den Umschlag und zwölf Farbtafeln beisteuerte.

Für den Lektor Erik Simon ist „Der Traummeister“ ein excellentes Beispiel dafür, daß „die Zensur schon damals nicht mehr das (war), was sie eigentlich nach dem Willen derjenigen, die sie installiert haben, sein sollte. Sie funktionierte in den letzten Jahren ebensowenig wie vieles andere; mal schlug sie völlig sinnlos zu und mal ignorierte sie eine Sache vollständig.“

Der Markt ist da gründlicher. Die ersten 8.000 Exemplare des Werkes kamen bereits Ende Juli aus der Druckerei — und liegen noch heute unausgepackt in der Lagerhalle. Westliche Massenware von Konsalik bis Asimov hat Vertrieb und Handel verstopft. Ironie der Geschichte: Die Steinmüllers, seit Jahren als radikaldemokratische Provokateure im DDR-Literaturbetrieb engagiert, bleiben nach dem Sturz des Regimes auf ihrem visionären Meisterwerk sitzen.

Vorläufig zumindest, denn '91 soll „Der Traummeister“ unter anderem Cover ein zweites Mal auf den Markt gebracht werden: vom bundesdeutschen Heyne-Verlag. Dann wird sich das renommierteste Autoren-Duo der DDR sein literarisches Schaffen allerdings nur noch als Hobby leisten können. Klaus Farin

P.S.: „Der Traummeister“ ist über Libri für jede Buchhandlung zu bestellen.

Angela und Karlheinz Steinmüller. Der Traummeister. Verlag Das Neue Berlin 1990. 335 Seiten, geb., 9,80 DM.