Freispruch im Blockade-Prozeß

■ Wenn kein Fahrzeug behindert wird, kann bei einer Blockade auch keine Nötigung vorliegen, schloß das Landgericht Zweibrücken messerscharf und sprach eine Giftgas-Blockiererin frei

Zweibrücken (taz) — Die Uhren im Zweibrücker Landgericht waren am Montag zwar immer noch nicht auf Winterzeit zurückgestellt, die Zeichen der Zeit scheint die Dritte Kleine Strafkammer des Landgerichts dennoch erkannt zu haben. Es sprach zum Auftakt einer Revisionswelle der Giftgasblockaden der Friedensbewegung vom Sommer 1988 die 58jährige Inge Radau aus Isarlohn in der Berufungsverhandlung vom Vorwurf der „versuchten Nötigung“ frei und hob damit ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom November 1988 auf. Inge Radau hatte während der fünftägigen Blockaden aus Protest gegen „Herstellung, Lagerung und Einsatz“ des damals in Fischbach vermuteten — tatsächlich aber in Clausen gebunkerten — Giftgaswaffen am 27. Juli 1988 für ein paar Stunden das Tor 4 des Fischbacher Depots blockiert und war deshalb zu zehn Tagessätzen verurteilt worden.

Das Landgericht hob das Urteil mit der Begründung auf, eine versuchte Nötigung nach Paragraph 240 Stgb sei nicht gegeben, weil es dazu eines Objekts der Nötigung bedurft hätte. Weil aber am gesamten Blockadetag kein einziges Auto das Lager verlassen wollte, sei auch der Nötigungstatbestand nicht gegeben, schloß sich Richter Rolf Künne der Verteidigung an. Inge Radau hatte während ihrer halbstündigen Erklärung zu Prozeßbeginn darauf hingewiesen, daß nicht zuletzt die Blockaden der Friedensbewegung die Öffentlichkeit gegen das Giftgas mobilisiert hätte. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils gefordert und den Blockierern empfohlen, doch lieber Mahnwachen abzuhalten, an denen sich keine Staatsanwaltschaft störe. Der Prozeß gegen Inge Radau ist der Auftakt einer Revisionswelle. Während die C-Waffen auf hoher See Richtung Vernichtung dümpeln, schwappen bis ins kommende Jahr 120 Berufungsverhandlungen vor rheinland-pfälzische Gerichte. Von den 122 erstinstanzlichen Verfahren endeten 111 mit einer Verurteilung wegen Nötigung oder versuchter Nötigung.

Es gab elf Freisprüche, zumeist aus Mangel an Beweisen. Der Hauptorganisator der Blockaden, Klaus Vack, geht davon aus, daß das Gericht nach dem Urteil vom Montag in 77 weiteren Fällen, denen der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, freisprechen muß. Thomas Krumenacker