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»Voller Haß und Aggression«

■ Das »Stadtteilcafé« am Kottbusser Tor wurde in der Vereinigungsnacht polizeilich demoliert, der Wirt und andere verletzt

Kreuzberg. »Die Polizei hat die Wiedervereinigung mit dem Knüppel gefeiert«, schimpft ein junger Mann. Er gehört zu einem Dutzend Menschen — Türken und Deutschen —, die im »Stadtteilcafé« am Kottbusser Tor saßen, wo sie unvermutet in Polizeigewalt gerieten.

Wegen einer Ausstellungseröffnung sei sein Lokal auf den »Betonterrassen« der Adalbertstraße sehr voll gewesen, berichtet der türkische Wirt. Nachdem Jugendliche unten am Kottbusser Tor Flugblätter verteilt hätten, sei die Polizei aufgefahren und habe gegen 21 Uhr 30 zum ersten Mal die Ausgänge des Cafeś abgesperrt. Drei Gäste, »die schon vorher die ganze Zeit dagesessen waren«, seien von Beamten nach außen geschleppt und durchsucht worden. Doch danach sei die Polizei abgezogen, ohne die Leute mitzunehmen.

Nach Mitternacht und Wiedervereinigung aber sei ein Greiftrupp von acht bis zehn Polizisten erneut die Treppe zum Café hochgestürmt, erzählen verschiedene Augenzeugen, darunter auch ein zufällig anwesender taz-Fotograf. Sie hätten versucht, eine Frau als angebliche Steinewerferin mitzunehmen, die ebenfalls friedlich im Lokal gesessen hätte. Viele Gäste hätten sich deshalb aufgeregt, darunter auch »eine bieder aussehende ältere Dame«. Die Frau habe nicht mitkommen wollen, eine Rangelei sei entstanden, ein Tisch sei umgefallen, danach habe die Polizei die Dasitzenden — darunter viele Ausländer — mit Fäusten und Fußtritten angegriffen.

Er hätte die Polizei aufgefordert, sein Lokal zu verlassen, berichtet der Caféinhaber. Mit dem Ruf: »Den Wirt nehmen wir mit!« seien Polizisten daraufhin auf ihn losgegangen, hätten ihn nach draußen geschleppt, die Gäste hätten ihn wieder zurückgeschleppt, »das war wie ein Tauziehen«. Ein anderer türkischer Gast hörte nach eigenem Bekunden den Spruch: »Halt's Maul, du kriegst was mit'm Knüppel!« »Die Polizisten waren voller Haß und Aggression«, sagt er. Die Folgen: Mehrere Leute, darunter der Wirt, mußten sich anschließend ambulant im Krankenhaus behandeln lassen. Der Lokalinhaber hatte Prellungen am ganzen Körper, ein anderer war am Geschlechtsteil getroffen worden.

Außerdem waren die gläserne Trennwand zwischen Gästeraum und Küche sowie eine Außenwand des Cafés, ebenfalls aus Glas, zerschmettert worden. Einer der Augenzeugen berichtet von einem Schlag mit einem Knüppel, dem die Außenscheibe zum Opfer gefallen sei. »Als die Polizisten danach noch mal ins Lokal zurückgingen, kam einer von ihnen durch das Loch.«

Der Polizeipressestelle war der Vorfall auf Anfrage der taz nicht bekannt. »Wenn sich jemand von der Polizei ungerecht behandelt fühlt, dann hoffe ich, daß er Strafanzeige stellt«, so der Polizeisprecher. Das ist geschehen. usche

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