: Aufstand der japanischen Tagelöhner
Das Armenviertel von Osaka begehrt auf/ Schwerste soziale Unruhen in Japan seit vielen Jahren/ Empörung gegen die Polizei und die „Yakuza“-Mafia, die das Baugewerbe beherrscht ■ Aus Tokio Yamamoto/Blume
„Diese Tagelöhner sind heute doppelt böse. Sie wissen ohnehin, daß sie nur der Dreck dieser Gesellschaft sind. Aber nun hat man sie es offen spüren lassen.“
Pater Lukas, seit dreißig Jahren im Dienste des Franziskanerordens für die Armen Japans tätig, ist von dem Aufstand der Tagelöhner am Wochenende in Osaka nur wenig überrascht. Zehn Jahre arbeitete er auf der Sozialstation vor Ort, im Ghetto von Kamagasaki. „Der Unwille und die Angst in Kamagasaki können jederzeit zum Ausbruch kommen — oder nie. Voraussagen lassen sich hier nicht treffen.“
Die Proteste in Nippons gefürchtetem Armenviertel Kamagasaki in Osaka führten am Wochenende nach Einschätzung japanischer Beobachter zu den schwersten sozialen Unruhen des Landes seit vielen Jahren. Bis zu 5.000 Tagelöhner gingen empört auf die Straße, nachdem bekannt wurde, daß ein Beamter der lokalen Polizeistation Bestechungsgelder von der Yamaguchi-gumi, Japans größter organisierter Verbrecherbande, angenommen hatte. Nippons Mafia (auch „Yakuza“ genannt) unterhält traditionell gute Verbindungen zur Polizei. Die Demonstranten verlangten deshalb eine offizielle Entschuldigung der Polizeibehörden, die jedoch verweigert wurde. Ihnen schlossen sich am Samstag zahlreiche Jugendliche der Umgebung an, die als Mitglieder von Motorradbanden im Clinch mit der Polizei liegen. Dann stand Kamagasaki kopf.
Ein Bahnhof ging in Flammen auf, Autos explodierten, Hunderte von kleinen Läden wurden geplündert, das öffentliche Leben lag 48 Stunden lang lahm. Die Polizei zählte am Sonntag 160 Verletzte, darunter viele Polizisten, und veranlaßte 52 Verhaftungen. 3.000 Polizisten hatten tagelang das Polizeiquartier von Kamagasaki, das den Demonstranten als Zielscheibe ihrer Proteste diente, hermetisch abgeriegelt. Die Polizei verzichtete dabei angeblich auf offensive Maßnahmen und wartete ab, bis die Ruhe am Sonntag nachmittag wieder eingekehrt war.
Bestechungsskandal in der Polizei
„Zum Schluß hielten die Arbeiter die Jugendlichen zurück, weil sie fürchteten, am nächsten Tag keine Arbeit mehr zu bekommen“, berichtet Takashi Uemura, Sozialreporter der japanischen Tageszeitung 'Asahi Shinbun‘ in Osaka. Uemura, der Kamagasaki seit Jahren beobachtet, stellt zum Ausbruch der Unruhen fest: „Ärger und Angst der Arbeiter gelten eigentlich der Yakuza, für die sie arbeiten. Doch die bleibt für sie unkenntlich, sie selbst fühlen sich machtlos. Von der Polizei haben sie nie etwas erwartet, aber nach der Bekanntmachung des Bestechungsskandals war sie ein klares, faßbares Ziel.“
In Kamagasaki leben 50.000 Tagelöhner auf 0,6 Quadratkilometer eng zusammengedrängt unter elenden gesundheitlichen und sozialen Verhältnissen. Die meisten arbeiten auf dem Bau. Sie genießen keinerlei soziale Sicherung. Der Öffentlichkeit ist dabei bekannt, daß die Baufirmen, die Tagelöhner anheuern, nahezu ausschließlich von der Mafia unterhalten werden. Mehrere Millionen Tagelöhner, so schätzen die Gewerkschaften, gibt es insgesamt in Japan. Bereits in den siebziger Jahren kam es in Kamagasaki zu heftigen Unruhen, als Studenten versuchten, die Tagelöhner gewerkschaftlich zu organisieren.
Sozialarbeiter Munemasa Watanabe, der in Kamagasaki ein Obdachlosenheim leitet, hofft nun, daß die Unruhen erstmals zu einem Gespräch zwischen Polizei, Ladenbesitzern und Bewohnern des Viertels führen. „Sinnvoller als eine offizielle Entschuldigung sind konkrete Hilfsmaßnahmen für die Menschen, die hier täglich auf der Straße sterben“, meint Watanabe. Sein Fazit der Unruhen: „Solange sich an dem grundsätzlichen Problem der Ausbeutung der Arbeiter durch die Yakuza nichts ändert, werden auch Angst und Unzufriedenheit in Kamagasaki bleiben.“
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