Der Norden hui, der Süden pfui

Zwischen den verschiedenen Landstrichen liegen Welten/ Das Ausflugsziel Harz und die stark belastete Region Halle in einem Bundesland vereint/ Lange gemeinsame Tradition  ■ Von Axel Kintzinger

„Am Morgen, wenn die Sonne aus den Wäldern östlich der Elbe aufsteigt, werfen die angestrahlten Türme, Mauern, Häuser und Dächer den Glanz über das Spiegelband des Wassers und das Grün der Uferwiesen zurück. Das Panorama, das sich langstreckt und von Höhendominanten rhythmisch gegliedert an dem Strom dahinzieht, scheint zu glühen.“

Wenn Autoren wie in diesem Fall Heinz Glade über Städte und Landschaften der Altmark, der Börde oder des Harzvorlandes schrieben, fiel es schon einmal kitschig aus. Vielleicht waren sie auf dem Weg in diesen nördlichen Teil des neuen Bundeslandes Sachsen-Anhalt aus Richtung Süden angereist und hatten zuvor die Gegend um Halle passiert — dann sei ihnen vergeben. In dem Gebiet, das im Osten von der Elbe, im Süden von der Magdeburger Börde, im Norden vom westdeutschen Wendland und im Westen von der Braunschweiger Industrieregion, vor allem aber von der ehemaligen Grenze eingerahmt war und ist, konnte Naturfreunden das Herz aufgehen. Vom Salzwedeler Chemiewerk abgesehen, stören größere Industrieanlagen kaum die Landschaft, hat die Produktion von Baumkuchen immer noch einen bekannteren Namen als die Gewinnung von Erdgas.

Und an was denken Sie bei Halle? Leuna, Buna, Bitterfeld. Nicht zu vergessen: Plaste und Elaste aus Schkopau. Zwar sind im Bitterfeld, Produktionsort von 40 Prozent aller Chemieerzeugnisse aus der ehemaligen DDR und damit erheblich mehr als das Leverkusen des vormalig zweiten deutschen Staates, mittlerweile beinahe die Hälfte der Beschäftigten ohne Arbeit. Aber die Gegend bleibt versaut. Auch wenn es aus den Schornsteinen und Reaktionskesseln nicht mehr so raucht und stinkt wie vor der Wirtschaftsunion, so bleiben doch kranke Menschen und hohe Krebsraten, bleibt die vom Braunkohleabbau zurückgelassene Kraterlandschaft, bleibt vergifteter Boden.

Aus diesen beiden Polen, der ländlichen Altmark und der Harzvorgegend um Halberstadt einerseits und dem ökologisch-wirtschaftlichen Notstandsgebiet um Halle andererseits, wird jetzt ein Bundesland — und das auf einer Fläche von 20.400 Quadratkilometern, etwas weniger als das nicht eben groß ausgefallene Hessen.

Wächst da also zusammen, was zusammengehört? Zumindest hat diese Verbindung eine lange Tradition. Existierte doch mit dem Erzbistum Magdeburg von 968 bis 1680 schon so etwas wie das erste Vorgängerterritorium, gefolgt vom Preußischen Herzogtum (1680 bis 1807), dem Elbdepartement des Königreiches Westfalen (1807 bis 1813) und der preußischen Provinz Sachsen (1816 bis 1944), zu der später der Freistaat Anhalt hinzugekommen ist. Dieses Gebiet zwischen Fläming und Unterharz, die Areale um Aschersleben, Ballenstedt, Bernburg, Köthen, Dessau und Zerbst waren schon 1218 ein Fürstentum, wurden in den darauffolgenden Jahrhunderten aber mehrfach geteilt. Aber erst 1945 entstand aus dem Freistaat Anhalt und der preußischen Provinz Sachsen — die nichts mit dem Königreich Sachsen zu tun hatte — die Provinz Sachsen-Anhalt, die im Sommer 1947 ins Land Sachsen- Anhalt umbenannt wurde. Lange währte aber auch dieses Gebilde nicht: Die DDR-Verwaltungsreform von 1952 schaffte die Länder ab und teilte das Gebiet in Bezirke auf.

Magdeburger und Hallenser hatten also vor rund tausend Jahren schon mehr und enger miteinander zu tun, als es die um den Hauptstadtsitz streitenden Lokalpolitiker heute wahrhaben wollen. Die drei Millionen Einwohner dieses Landes werden sich bald besser kennenlernen: Angesichts der zusammengebrochenen Wirtschaftsstrukturen im Süden Sachsen-Anhalts — der Chemieindustrie droht wahrscheinlich das Aus, die Braunkohleförderung wird nicht zuletzt aus ökologischen Gründen massiv heruntergeschraubt — werden sich Arbeitnehmer aus der Region Halle im nördlichen Teil ihres Bundeslandes nach einem Job umsehen müssen. Wenn sie nicht gleich in nach Westdeutschland übersiedeln. Dahin tendieren vor allem die Jüngeren.