Spaniens Diktator Cruyff

Der spanische Fußball spielt verrückt: sagenhafte Millionengeschäfte, ein ballbesessener Usupator und der allgegenwärtige Traum vom Titel  ■ Aus Barcelona Nikolas Marten

Fußball auf der iberischen Halbinsel heißt vor allem oder nur „querra“ — Krieg. So verkünden es nicht nur täglich Sportgazetten und kreischende Rundfunkreporter, sondern auch ehrenwerte Vereinspräsidenten und deren Kicker-Staffage. Steuererhöhungen, Politskandale und Golfkrieg verschwinden aus den Schlagzeilen und dem Stimmengewirr der Bartresen spätestens, wenn das gesteppte Kunststoffrund auf den verdorrten Rasenteppichen der zwanzig Erstligastadien rollt.

Längst ist die Schmach des spanischen WM-Teams vergessen. Nach sechs Spieltagen fiebert Katalonien mit „seiner blau-roten Armee“, dem FC Barcelona. Verlustpunktfrei haben die Hafenstadt-Fußballer schon drei Zähler Vorsprung auf die verhaßten „Königlichen“ vom Erzrivalen Real Madrid herausgeballert. Zuletzt hatte das „weiße Ballett“ fünfmal in Folge die Meisterkrone errungen.

„Aquest any si“ lautet die schlichte Dauerparole mit der Verheißung, daß in diesem Jahr nur Barca Meister werde.

Solch ein Titel ist für die vermeintlich unterdrückten Katalanen nicht weniger als die erfolgreich vollzogene Revolution gegen die „Fußball-Diktatur“ des ehemaligen Franco-Clubs aus der Bourbonen- Metropole.

Barca-Coach Johan Cruyff, seit drei Jahren bei dem 108.000 Mitglieder-Heiligtum, offenbarte jüngst seine ureigene Kick-Philosophie. Der dürre Flame mit dem vier-Millionen Netto-Salär meinte: „Du mußt als Trainer ein brutaler Dikatator sein. Nur dann hast Du Erfolg.“ Nicht zu Unrecht fragte 'El Pais‘: „Nietzsche, Hitler, Cruyff?“ Doch den Fans ist es egal, was der ballbesessene Usupator brabbelt, solange seine Gladiatoren siegen. Umgerechnet hundert Millionen Mark hat man in den letzten vier Jahren in neue Spieler investiert.

Mit Espanyol hat Barcelona nun auch wieder einen zweiten Club in der Ehrendivision. Der egozentrische Ball-Jongleur Wolfram Wuttke, vor einem halben Jahr aus Kaiserslautern ans Mittelmeer emigriert, dirigierte und schoß den kleinen Nobelclub aus der zweiten Liga weg.

Wuttkes Schicksal: der Unberührbare

Nun haben sie dem Ruhrpott-Dribbler mit Luis Aragones einen Trainer vor die Nase gesetzt, der als „intocable“, unberührbar gilt, da er mit Barca 1985 den letzten Meisterpokal holte. Der Sakrosankte duldet keine kleinen Götter neben sich und so muß Wuttke derzeit die Niederlage seines Teams von der Tribüne aus erdulden.

Derweil hat der andere Exil-Teutone „Bernado“ Schuster ein Tabu gebrochen. Nachdem er vor drei Jahren schon vom FC Barcelona zu Real Madrid wechselte, zeichnete er Dienstagnacht bei Atlética Madrid einen Neun-Monatskontrakt, der dem gelernten Klempner aus Augsburg 1,7 Millionen Mark cash garantiert. Zuvor war er von Reals Patriarchen Mendoza mit einer Abfindung von drei Mios vor die Tür gesetzt worden.

„Vom Paradies in die Hölle“ kommentierte das Sportblatt 'Marca‘ die überraschende Wahl des Deutschen. Nicht zu Unrecht. Denn bei Atlético herrscht seit 1987 der selbsternannte Volkstribun Jesús Gil. Elf Trainer, einer schon nach sieben Tagen, und 26 Spieler wurden unter seiner Regentschaft vorzeitig geschaßt.

Der dauergrinsende Zweizentnermann, der sich am liebsten mit bis zum Bauchnabel geöffneten Maßhemd knipsen läßt, hat zudem eine bewegte Biographie. Ende der 60er saß er für drei Jahre im Knast, nachdem eine von ihm errichtete Wohnkolonie explodierte und 58 Menschen unter sich begrub. Von Franco begnadigt, tauchte der Name des begnadeten Selbstdarstellers bald darauf in Zusammenhang mit der Milliardenpleite der Banco de Navarra auf.

Heute kultiviert er lieber seine Schiedsrichter-Phobie mit Rundumschlägen gegen deren Berufsgilde. Vorige Woche ließ er in seinem Sportpalast 5.000 Mitglieder darüber abstimmen, ob sich Atlético vom Spielbetrieb zurückziehen solle, da ein angeblich übersehenes Handspiel seinem Club eine Niederlage beschert hatte. Die Deligierten stimmten dagegen, doch dafür wurde einstimmig acht Schiris Stadionverbot erteilt.

Gil nennt sie in seinem pathologischen Hang zur Fäkaliensprache gern „hijos de puta“, Hurensöhne. Daß er zuvor den französischen Edel-Refereé Vautrot als „schwule, bestechliche Obersau“ und „Blutbruder von Saddam Hussein“ tituliert hatte, verwunderte keinen mehr.

Bisher zahlt der „gordo loco“, der verrückte Dicke, die zahlreichen Strafen noch dauergrinsend unter medienwirksamen Blitzlichtgewitter aus „der Portokasse“.

Wilde Prasserei macht Laune

Ebendiese Prasserei hält die Spieler bei Laune. So beträgt der Jahres-Etat der zwanzig Vereine eine halbe Milliarde Mark. Allein der FC Barcelona verbraucht jährlich 128 Millionen — die Münchner Bayern nicht mal ein Fünftel dessen. Woher kommt das Geld?

Ewig eitle Club-Vorständler plündern ihre prallen Privatkonten, neun TV-Stationen pokern die Übertragungsrechte astronomisch nach oben — für den Hit Barca-Real sind 5,8 Mio geboten; und selbst der ärmste Fan muß für den billigsten Stehplatz schon dreißig Mark berappen. Abschreckend wirkt das nicht.

Krösus Barca begrüßte nach drei Heimspielen schon 311.000 Besucher im Stadionoval. Die achtzehn Clubs hinter Barca und Real müssen sich mit ihrer Statistenrolle begnügen. Die seriöse Sportzeitung 'El Mundo deportivo‘ kommentierte diesen Umstand lakonisch: „deren Meisterschaftstitel ist eben Platz Drei“.

Ball verrückt — und jeder geht hin.