Kontroverse im Europaparlament

■ Untersuchungsausschuß fordert Geldmittel für den Kampf gegen Antisemitismus, Fremdenhaß und Rassismus INTERVIEW

In den vergangenen zwei Tagen debattierte das Europaparlament einen Ausschußbericht über Rassismus, Fremdenhaß und Antisemitismus in Europa. Die Sozialistin Marijke van Hemeldonck, eine jüdische Abgeordnete aus Belgien im Europaparlament, ist Mitglied in diesem Ausschuß.

taz: Das Europaparlament (EP) hat vor einem Jahr einen Untersuchungsausschuß zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eingerichtet, über dessen Abschlußbericht diese Woche in Straßburg abgestimmt werden soll. Der Bericht hat eine große Kontroverse ausgelöst. Warum?

Hemeldonck: Das EP hat schon 1984 einen sehr guten Bericht zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erstellt. Er enthält eine ganze Reihe von Empfehlungen, wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu begegnen sei. Wichtigstes Ergebnis war eine gemeinsame Erklärung von Ministerrat, EG-Kommission und EP, in der sich die europäischen Institutionen und die einzelnen Mitgliedsstaaten verpflichteten, alle ausländerfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Äußerungen oder Gewaltanwendungen zu bekämpfen.

Doch nach fünf Jahren mußten wir feststellen, daß mit den Empfehlungen nichts passiert war. Deswegen beschlossen wir, einen neuen Untersuchungsausschuß einzurichten, der herausfinden sollte, warum unsere Empfehlungen nicht umgesetzt worden waren. Dazu luden wir wieder viele Zeugen ein, dieses Mal die Entscheidungsträger — Justiz- und Innenminister, Oberbürgermeister, Pädagogen. Da sind wir vielleicht ein bißchen naiv gewesen, denn sie haben natürlich nicht öffentlich zugegeben, daß sie nichts gemacht haben, weil sie Angst davor haben, bei den nächsten Wahlen gegenüber den stärker werdenden extrem rechten Gruppen zu verlieren. Aus diesen Erfahrungen haben wir jetzt Empfehlungen entwickelt, die die Dinge stärker beim Namen nennen.

Zum Beispiel?

Wir haben 76 Empfehlungen erarbeitet, unterteilt nach den Adressaten Mitgliedsstaaten, Ministerrat, EG-Kommission und EP. Wir wollen, daß das Parlament ein System der Überwachung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus einrichtet. Außerdem sollen Pilotprojekte finanziert werden, die Möglichkeiten erproben, wie das Zusammenleben zwischen EG-Bürgern und Ausländern verbessert werden kann. Dann muß die Stellung des EP verbessert werden, weil wir in diesen Fragen eigentlich nur eine verbale Kontrolle ausüben können. Interessant ist vielleicht noch, daß wir fordern, die Mittel aus den Struktur- und Sozialfonds für regionale Entwicklung stärker für Gebiete und Kommunen mit hohem Ausländeranteil auszugeben.

Vielen Abgeordneten auch Ihrer Fraktion gehen aber diese Empfehlungen gerade an die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu weit. Was sind die Streitpunkte?

Zum Beispiel die Empfehlung, daß das Parlament Klage beim Europäischen Gerichtshof erhebt gegen Abkommen wie den Schengener Vertrag [in dem die fünf beteiligten Mitgliedsregierungen der Benelux-Länder, Frankreichs und der Bundesrepublik als Ausgleich für den Wegfall der nationalen Grenzen im Rahmen einer Mini-EG eine enge Zusammenarbeit der Polizei verabredeten, die Red.]. Eine andere Forderung ist die Gewährung kommunalen Wahlrechts, in einem ersten Schritt für alle EG-Bürger, die in einem anderen Mitgliedsstaat leben, und dann auch für die in der EG lebenden Ausländer. Ich selbst bin nicht sehr glücklich mit dem Bericht, denn es läuft wie schon beim letzten Mal darauf hinaus, schöne Erklärungen abzugeben. Wenn es darum geht, wirklich konsequent zu werden und beispielsweise Veränderungen des Haushalts zur Finanzierung von Maßnahmen zu beschließen, dann wird es schwierig. Interview: Michael Bullard