Lafontaine? „Der hat noch mal zwei Prozent gebracht.“

■ In der Erfurter Thüringenhalle versprach Fahrtmann viel und Lafontaine redete Klartext/ Der dritte Wahlgang ist nicht der letzte

Erfurt (taz) — Am Anfang war der Star des Abends unzufrieden. Gleich beim Eintritt in die Erfurter Thüringen-Halle hatte Oskar Lafontaine dem neben ihm marschierenden Friedhelm Fahrtmann hörbar zugezischt: „Habt ihr denn nicht anständig mobilisiert?“ Die Frage war berechtigt. Von den 1.500 Plätzen waren am Dienstagabend höchstens zwei Drittel besetzt.

Wo die CDU allein mit dem Glorienschein des Kanzlers die Schatten der Vergangenheit bei so manchem örtlichen Kader ihrer Partei überstrahlt, tun sich die Genossen in den neuen Bundesländern mit ihrem Kanzlerkandidaten immer noch schwer. Ob der ein Zugpferd für die Partei ist? Dietmar Schumacher, seit den Kommunalwahlen mit der satten Mehrheit einer Großen Koalition von CDU und SPD (als Junior-Partner) Bürgermeister in Erfurt, bleibt skeptisch. 27 bis 28 Prozent prognostiziert er für die SPD am Sonntag in Erfurt, 25 Prozent in ganz Thüringen.

„Glück auf, der Steiger kommt!“, spielt der Fanfarenzug, der vorher das Publikum mit einer Bläser-Version von Quanta na mera beglückte. Und da ist Oskar. Der Beifall wird lauter.

Aber eigentlich ist der Kandidat der Stunde ja „unser Professor“ — so der örtliche Listenführer — Friedhelm Fahrtmann. Der Genosse Professor ist sehr laut und auf eine mißtrauisch machende Weise vielversprechend. Er muß dann früher gehen — höflicher Abgangsbeifall.

Und dann ist Lafontaine dran. Seine dreiviertelstündige Rede — frei und brilliant gehalten — zielt vor allem auf eines ab: die SPD- Position deutlich machen, und zwar in der Differenz und Abgrenzung zu CDU und FDP. Aufgeblasenheit und leere Versprechungen geißelt er da immer wieder, insbesondere beim Kanzler. Aber auch de Maizière kriegt sein Fett ab. „Die Teilung wird nur durch teilen überwunden“ — sehr schön dieser Satz, aber wieso bekäme de Mazière für seine „Kurzarbeit null“ im Kabinett 35 Tausend Mark im Monat? „Der soll mal hochrechnen, mit wievielen er teilen kann.“ Jubel kommt auf.

„Politik ist immer konkret!“, gibt Lafontaine den Parteifreundinnen und -freunden mit auf den Weg, die Wahl ist keine Farce, da fallen Entscheidungen. Und er nennt ihnen die Prüfsteine: Renten, Kindergeld, Mieten, Wehrpflicht und Zivildienst. Wahlmüdigkeit beim dritten Wahlgang in wenigen Monaten? Das könnten sich gerade die Menschen in den neuen Ländern aus der ehemaligen DDR nicht leisten. Und auch die Bundesratsmehrheit der SPD ist ein Ziel bei diesen Landtagswahlen — schließlich wurde so der 2. Staatsvertrag nachgebessert — macht er den Multiplikatoren im Saal klar. Sein Schlußsatz — nicht ohne den vorherigen Hinweis, daß die Brandt'sche Ostpolitik den Prozeß der Enteisung im Osten eingeleitet hat — ist dann von Begeisterung begleitet: „Wir sind immer verläßlich, wenn es um soziale Gerechtigkeit und Friedenssicherung geht!“

Der vorsichtige Bürgermeister Schumacher meint: „Der hat nochmal zwei Prozent gebracht.“ Oskar Lafontaine sitzt derweil auf dem Podium und signiert Flugzettel, die ihm seine Bodyguard reicht. Der Kandidat weiß: Hier geht es nicht um die letzte Wahl in diesem Jahr. Georgia Tornow