Rechtzeitig altern

Manchmal, wenn wir uns besonders eins fühlen mit uns selbst und stolz sind auf unsere Lebenskunst, sagen wir: „Alles hat seine Zeit.“ Und dann fühlen wir uns wohl mit der Erkenntnis, daß man im Leben nicht alles immer vorausplanen soll, und daß es wichtig ist, die Dinge des Lebens dann auf sich zukommen zu lassen, wenn die Zeit dafür reif ist.

Ein Thema aber gibt es, das hat keine Zeit. Das ist unser Alter und das mit wahrlich „tödlicher“ Sicherheit eintretende Lebensende.

Zwei alternde Menschen, Richard Boeckler und Klaus Dirschauer, haben über das Altern ein Buch geschrieben, das man rechtzeitig lesen sollte. Es heißt Emanzipiertes Alter. Seine Kernaussage: Altern will beizeiten gelernt sein. „Werde ich dereinst mein Leben, was dann noch davon geblieben, Altersinstitutionen anvertrauen, wie bisher so oft den dafür zuständigen Sozialisationsagenten übergeben und mich für den Rest meines Lebes institutionalisieren lassen, auch Vorsorge treffen lassen über den Tod hinaus?“

So beschreibt Klaus Dirschauer, Pfarrer und Ausbildungsreferent der Bremischen Kirche, die Alternative, die ihm eines Tages vor Augen stand — oder „will ich jetzt mein Leben selbst in die Hände nehmen: als ein neues Geschenk der neuen Freiheit erkennen...?“

Das Buch ist ein Sachbuch. Journalisten, Hochschulprofessoren, Künstler wurden gebeten, ihre Erkenntisse darüber zu formulieren, wie man „dem Leben mehr Jahre und den Jahren mehr Leben geben“ kann — so der Titel des Beitrags des Gerontologen Gerd Legatis. Es komme darauf an, das eigene Altern schon früh bewußt zu erleben, sich Fertigkeiten für die Zeit nach der Pensionierung zuzulegen (und vor allem seine persönliche Identität nicht von seinem Beruf abhängig zu machen). Vor allem aber darauf, eines zu lernen: Daß unsere Zeit begrenzt ist.

Aus dem Inhalt: „Die ,Villa Kunterbunt‘ oder: Jeder altert, wie er gelebt hat“, „Häßliche Alte — lüsterne Greise? Bilder der Dritten Generation in Märchen, Sagen, Sprichwörtern“, oder: „Sind alte Leute auch Menschen? Ihr Bild in Entwürfen für den schulischen Religions- und Konfirmandenunterricht“.

Das Buch, zu dem ein zweiter Teilband geplant ist, handelt in fast jeder Zeile von den eigenen Erfahrungen der Autoren. Es wird dadurch authentisch und nie langweilig. „Vieles — sagt er — nicht alles“ werde sich ändern im Leben, wenn man an den eigenen Tod und das Altern rechtzeitig denke, zitiert der Journalist und Theologe Richard Boeckler den an Krebs gestorbenen Peter Noll. Und er fährt fort: „Wir werden ein weiseres Herz gewinnen, wie der Psalmist sagt. Wir werden sorgfältiger umgehen mit der Zeit, sorgfältiger mit den anderen, liebevoller, wenn Sie so wollen, geduldiger — und vor allem freier. Niemand kann uns mehr nehmen als das Leben, und das wird uns ohnehin genommen.“ Sebastian Klusak

Richard Boeckler/ Klaus Dirschauer (Hrg.), Emanzipiertes Alter — ein Sachbuch, Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 1990, 34 D-Mark.