Ein Kiezfürst will König in Kreuzberg werden

■ Volker Härtig, BVV-Mitglied in Kreuzberg, gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge der zurückgetretenen Baustadträtin Eichstädt Gründungsmitglied der Alternativen Liste, Bezirksverordneter und Abgeordneter, aber trotzdem in Partei und Bevölkerung umstritten PORTRÄT

»Hör mal«, sagt er, holt kurz und energisch Luft, läßt sich hinter einen Schreibtisch voller Papierstapel und Aktenordner fallen und verpaßt sich einen seriösen Gesichtsausdruck wie J.R. Ewing, der gerade Cliff Barnes eine stillgelegte Ölquelle als Millionengeschäft andrehen will. »Ich habe hier eine hochinteressante Geschichte für dich«. Volker Härtig wühlt in den Ordnermassen, findet natürlich nichts, und um das schiere Chaos in seinem Arbeitszimmer zu überspielen, redet er ununterbrochen weiter. »Das ist ein politischer Skandal, der zum Himmel schreit, was die SPD da verbockt hat. Eine städtebaulich völlig verfehlte Planung. Ach, da sind ja wenigstens meine Zigarillos.« Und, da er nun sowieso schon aus der Rolle gefallen ist: »Nun guck nicht so dämlich, ich erklär dir das gleich«.

Die Absätze an seinen Schuhen hätte er genausowenig nötig wie die Schulterpolster an der Lederjacke. Jeder Raum, den er betritt, ist ohnehin vom Boden bis zur Decke mit Volker Härtig ausgefüllt. »Journalist« nennt sich der 34jährige überzeugte Kölner, der für den Mieterverein schrieb, das verblichene Kreuzberger Stadtmagazin 'Süd-Ost-Expreß‘ mit aufbaute, für die Internationale Bauausstellung jobbte und Mieter beriet. Die Bezeichnung »Berufspolitiker« wäre für den Langzeitstudenten angemessener. Aber vielleicht ist doch »Kiezfürst« das passendste.

»Ein Kiezfürst«, definierte er sich selbst einmal in einem Interview in der Zeitschrift 'Ästhetik und Kommunikation', für dessen Abdruck er anschließend Schmerzensgeld verlangte: »Ist jemand, der Situationen frühzeitig erkennt, bei denen man eingreifen muß, der genügend Selbstbewußtsein hat, Leute anzuleiten, der ein legitimatorische Massenbasis hat und vor allem sehr mobil ist.«

Härtig, vor Urzeiten einmal Kreuzberger Juso, ist Gründungsmitglied der Alternativen Liste. Er organisierte 1979, als Kahlschlagsanierung und sozialdemokratischer Filz angesagt waren, die erste Besetzung in SO36, — in einem Haus, das er übrigens inzwischen gekauft hat.

Größeren innerparteilichen Ärger bekam er 1985, als er versuchte, die AL-Abgeordnete Annette Ahme grundlos — und anonym — als politisch unfähig zu diffamieren. Das brachte dem eingefleischten Männerbündler den Titel des »Chauvis des Monats« in der Zeitung seiner eigenen Partei ein. Und daß Franziska Eichstädt in ihm irgendeine Unterstützung gegen die Machos von der SPD hatte, bezweifeln selbst die ihm wohlwollenden Parteikollegen.

Ein Jahr später schlugen die Wogen noch höher im Konflikt um den Kreuzberger Kinderbauernhof. Die Bauern machten Härtig — der inzwischen Bezirksverordneter war — dafür verantwortlich, daß sie per Polizeieinsatz von ihrem Acker vertrieben wurden. Geradezu verhaßt ist er bei den Autonomen, weil er gegen die Kreuzberger Krawalle am 1. Mai schon zu Felde zog, als andere ALer Revolutionstourismus noch schick fanden. Sein VW-Bus wurde angezündet, auf Szeneversammlungen schrie man ihn regelmäßig nieder. Das alles überstand er mit der Unterstützung eines auf Dauer geknüpften Netzes von Männerfreundschaften und mit der ihm eigenen unerschöpflichen Energie, die selbst seinen Feinden Respekt abnötigt und die ahnen läßt, woraus er die moralische Legitimation für seine Rücksichtslosigkeit bezieht.

Relativ überraschend — er stand weit hinten auf der Liste — rückte er 1987 ins Abgeordnetenhaus ein. Dort hatte er wieder »echte« Gegner und machte in der AL durch seine allseitig unbestrittene Fachkompetenz Punkte gut. Das Motto »Viel Feind — viel Ehr« behielt er bei, ob er sich nun mit Schattenbausenator Riebschläger anlegte, den CDU-Abgeordneten Hapel ohrfeigte oder eine Beleidigungsklage des Polizeipräsidenten provozierte. Doch die Parteimehrheit blieb nachtragend: Sie wählte ihn 1988 nicht wieder ins Abgeordnetenhaus, und nur dadurch, daß er seine ganze Seilschaft zur Wahlversammlung aufbot, kam er nochmal in die BVV. esch