Eventuell böse

■ „Die Zofen“ von Jean Genet hatten Premiere im Freiraum-Theater

„Wenn ich ein Theaterstück aufführen müßte, in dem Frauenrollen vorkommen, würde ich fordern, daß diese Rollen von Jungen gespielt würden, und ich würde das Publikum durch ein Schild darauf hinweisen, das die ganze Vorstellung über rechts oder links vom Bühnenbild festgenagelt bliebe.“

Der Regisseur Abdelaziz Baughanmi der „Zofen“ im Freiraum- Theater spinnt Genets Idee vom Geschlechtertausch weiter. Im Programmheft steht hinter jedem männlichen Namen, es sei eine Frau, hinter jedem weiblichen, es sei ein Mann. An der Wand des Theaterraums hängen zwei Plakate: die Zofen würden von Männern, die Gnädige Frau von einer Frau gespielt. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: die Zofen werden von Frauen, die Gnädige Frau von einem Mann gespielt.

Diese Idee des Regisseurs ist aber nur ein Gag, wenig hilfreich für das Spiel. Da zwei der Rollen von Frauen gespielt werden, zeigen sie nicht die Differenz ihrer „normalen“ Geschlechtsrolle; und der Mann (Manfred Adrien) zeigt in dieser Konstellation nicht mehr das Weibliche als das Fremde: Er setzt hemmungslos auf den Transvestiteneffekt — bärenartig viele Haare auf der Brust, die aus dem Décolleté schauen, auf dem Kleid sind über den Brustspitzen zwei kecke Kügelchen genäht, die bei jeder Bewegung hin- und herbaumeln. Die Idee der Verfremdung wird ins harmlos Witzige verschoben. Diese Herrin kann unmöglich der Focus sein für das selbstzerstörerische Spiel der Zofen Claire (Barabar Weste) und Solange (Anna Bushart).

Sie lieben und hassen ihre Gnädige Frau, und sie lieben und hassen sich gegenseitig. Ist die Herrin weg, spielen sie ein Spiel, in dem alle Rollen vertauscht sind. Claire spielt die Gnädige Frau und ihre Schwester Solange spielt die Zofe Claire. Oder Solange spielt die Gnädige Frau und Claire spielt die Zofe Solange. Keine ist also sie selbst, sondern eine Rolle. Aber in das Rollenspiel mischt sich immer stärker der eigene Anteil, der Haß nicht nur auf die Gnädige Frau, sondern auf die Schwester, den Spiegel seiner selbst; immer stärker wird die Lust, die Schwester zu töten, die zugleich die Gnädige Frau darstellt. Aber die Zofen bringen ihr Spiel nie zu Ende: Immer klingelt vorher der Küchenwecker. Aber das Spiel entläßt sie trotzdem immer weniger. Claire will es heute vollenden, mit Schlaftabletten im Lindenblütentee. Aber die Gnädige Frau will heute keinen Lindenblütentee.

Solange als Claire würgt Claire als Gnädige Frau. Sie phantasiert sich in die Rolle der Verbrecherin, die ins Zuchthaus kommt. Sie zieht ihre Kutte aus, zieht das weiße Kleid der Gnädigen Frau an: ein Engel des Bösen. Da steht Claire wieder auf, ihr ist es toternst. Sie setzt sich als Gnädige Frau ins Sofa und Solange muß ihr als Zofe Claire den vergifteten Tee reichen. Sie trinkt ihn.

Ein Spiel um Liebe, Haß, Unterwerfung, die Lust zu unterwerfen und daran, sich zu unterwerfen. Das kann man im Spiel von Anna Bushart und Barbara Weste alles erkennen: Aber es macht einen nicht erschauern, der Abgrund des Bösen ist nicht zu spüren. Ihren Bewegungen, ihren Gesten, ihren Sätzen fehlt es an gnadenloser Schärfe. Vielleicht ist es, wenn man sich nicht durch sein professionelles Handwerk schützen kann, doch zu gefährlich, sich auf Genets Welt des absolut Bösen so einzulassen, daß man es im Spiel nicht nur zeigt, sondern selbst ist. Christine Spiess