piwik no script img

»Man ist ja das Alte so gewöhnt«

■ Der Wahlsonntag in einer Kleinstadt: Idylle und Häßlichkeit in Königs Wusterhausen

Königs Wusterhausen. Der Tag ist fast zu schön für einen Wahlsonntag. An den rotgolden strahlenden Eichenalleen Richtung Königs Wusterhausen werden Radieschen verkauft, aber dann taucht wieder ein häßlicher Betonklotz am Straßenrand auf und zerstört das Bild. Idylle und Tristesse, so ist die ehemalige DDR auch in den Wahllokalen.

Freundliche Lockerheit herrscht in der »Oberschule II«. Ein halbes Dutzend Wahlhelferinnen haben in einem Klassenzimmer die Tische für die Wahlunterlagen mit Decken und Blumensträußen geschmückt. Jeder 200. oder 400. Wähler bekommt eine Rose in die Hand gedrückt. Einfach so. »Die Wähler kommen rein und rufen aus: Da sind ja lauter Frauen«, lacht die weibliche Übermacht im Raum, »und wir sagen dann: Die Männer stehen dafür auf der Kandidatenliste...«

Seit sechs Uhr morgens sitzen sie hier schon, »aber was soll's. Früher haben wir nur geschimpft, jetzt müssen wir mal selber machen«. Eine der Frauen ist vorher mit einer »fliegenden Wahlurne« durch die Straßen gezogen, zu den Alten und Behinderten. »Eine hat mir gesagt, ach Gott, ich weiß gar nicht, worum es geht. Sie hat dann ihr Kreuzchen einfach irgendwo gemacht.«

Eine andere ältere Dame, draußen vor der Tür, hat dafür das angekreuzt, was sie mit altem Namen all die Jahre wählte. »Man ist ja das Alte so gewöhnt — also nüscht wie ran, PDS!«, schreit sie quer über die Straße. Ihre Bekannte zieht sie am Ärmel: »Du bist ja verrückt, die haben uns ja so betrogen!« »Naja«, schüttelt ein vorbeiradelnder Familienvater den Kopf, »die Stasi-Leute, die wählen hier eh nicht PDS, sondern ihren Diestel, der sich so um sie sorgt. Die Geschichte hat manche Ironie für uns übrig.«

Das Alte sind auch einige andere gewöhnt. Im Clubhaus »Hanns Eisler«, einem anderen Wahllokal, herrscht Mißtrauen. »Also ich will weder gefilmt noch interviewt werden!« »Ich auch nicht!« Auch die Wähler sind die neuen Zustände, die sich in den Wahlkabinen mit den mausgrauen Vorhängen und den komplizierten Wahlzetteln materialisieren, noch nicht gewöhnt. So manch einer oder eine versucht den angekreuzten Zettel ungefaltet und damit lesbar in die Urne zu stopfen.

In einem dritten Wahllokal in einer Erweiterten Oberschule scheint die ganze drückende Politatmosphäre der alten DDR konserviert. »Presse ist hier nicht erlaubt!«, herrscht der Wahlvorsteher die Fremden an. Wie bitte? »Steht sogar in der Wahlordnung!« Ein Nachschauen erbringt den expliziten Satz: Die Öffentlichkeit muß gewahrt bleiben. »Entschuldigung, ich muß mit meinem Chef telefonieren.« Die Wahlhelfer, männlich wie weiblich, schauen stumm vor sich hin. Der jungdynamische Wahlvorsteher kehrt zurück: »Ja, also, heute morgen hat der Wahlkreisleiter extra noch gesagt, die Presse dürfe nur in einige Wahllokale. In Schenkendorf zum Beispiel nicht, da gibt es zuwenig Wähler.« Wie bitte? »Und auch hier muß ich Sie darauf aufmerksam machen: Sie dürfen keine Unterlagen fotografieren, Sie dürfen nicht in die Wahlkabine, Sie dürfen den Wahlvorgang nicht behindern...« Die alten Zeiten sind noch lange nicht zu Ende. Ute Scheub

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen