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»Ampelwald« im Osten Berlins

■ Magistrats- und Senatsplaner möchten die Zahl der Ampeln im Ostteil der Stadt nach und nach verdoppeln, damit das Straßennetz leistungsfähiger wird/ Senatorin Schreyers Experten protestieren

Berlin. Ganz Ost-Berlin ein Ampelwald? Neuen verkehrspolitischen Zündstoff birgt ein von Planern des Senats und Magistrats entwickeltes Konzept zur Steuerung des Straßenverkehrs. Es sieht vor, daß die Zahl der Ampelanlagen im Ostteil der Stadt nach und nach annähernd verdoppelt wird. Ähnlich ehrgeizige Ampelbauprogramme wurden ab den späten sechziger Jahren schon in West-Berlin durchgezogen, doch verdammen Kritiker die »Verampelung« heute längst als falschen Schritt zur autogerechten Stadt.

Solange in Ost-Berlin kein nennenswerter Aus- und Neubau von Straßen möglich sei, müsse durch die Installation neuer Ampeln erst einmal die Leistungsfähigkeit des vorhandenen Netzes für den Autoverkehr kräftig erhöht werden, lautet das Kredo der Verkehrsplaner unter Senator Horst Wagner und Baustadtrat Eckehard Kraft (beide SPD). Sie gehen davon aus, daß selbst zur Schließung kleinerer Straßenlücken an der ehemaligen Grenze zu West- Berlin das Geld fehlt und wenn, dann erst einmal die vorhandenen Trassen und Brücken instand zu setzen sind.

Eine Arbeitsgruppe der Straßenverkehrsplaner ermittelte bereits einen »Sofortbedarf« von 150 neuen Lichtsignalanlagen, meist für Straßen im ehemaligen Grenzgebiet zwischen den beiden Stadthälften. Teilweise sollen diese Ampeln zur autofahrerfreundlichen Kanalisierung des Fußgängerverkehrs dienen. Einige der neuen Lichtsignalanlagen machten auch die Aufhebung der Vorfahrt für Straßenbahnen nötig.

Laut Volker Müller von der Magistratsbauverwaltung braucht Ost- Berlin nach überschlägigen Berechnungen langfristig 450 bis 500 Ampelanlagen. Derzeit gibt es lediglich 260, im Westteil sind es 1.300.

Die extrem langen Grünzeiten für Autos auf den großen Radialen ins Ostberliner Stadtzentrum hält Müller weiterhin für erforderlich. Die Leistungsfähigkeit der früher von den SED-Funktionären gern genutzten Rennstrecken dürfe keineswegs eingeschränkt werden. Eine der Hauptachsen, die Karl-Marx-Allee, müsse in der Rush-hour stündlich 3.000 Autos in beiden Richtungen verkraften.

Völlig andere Schwerpunkte möchten dagegen die Experten im Hause der AL-nahen Umweltsenatorin Schreyer setzen. Vorrangig müsse durch eine andere Verteilung der Verkehrsflächen zugunsten von Fußgängern, Radfahrern und Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel erreicht werden, daß weniger Autos ins Stadtzentrum gelangen, so der Planer Heribert Guggenthaler. Gerade die extrem breiten Radialen böten genug Platz für neue Straßenbahnlinien und separate Radlerstreifen auf der Fahrbahn und dürften dem Autoverkehr nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen. Guggenthaler weiter: »Wenn mehr Lichtsignalanlagen gebaut werden, muß dies ausschließlich zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für die Fußgänger gemacht werden, mittels mehr und längerer Grünzeiten.« In der Tat sei es ein »großes Problem«, die Ostberliner Ampeln alle so umzurüsten, daß Fußgänger und Radfahrer angemessen berücksichtigt werden, entgegnet Referatsleiter Eberhard Gerdum aus der Senatsververkehrsverwaltung. Gerdum zufolge gibt es auch im Westteil eine Reihe von Ampeln, bei denen Fußgänger noch nicht einen Grün-Vorlauf vor abbiegenden Autofahrern bekommen.

Unterdessen hoffen die Planer, möglicherweise schon bis zum Jahresende die in beiden Stadthälften bislang getrennt arbeitenden Verkehrsregelungszentralen miteinander verbinden zu können. Voraussichtlich 1995 sei dann eine eine Regelungszentrale für ganz Berlin in der Nähe des Bahnhofs Jannowitzbrücke fertiggestellt, heißt es optimistisch. Wenn die pessimistischen Prognosen zutreffen, kann man sich dann freilich überwiegend auf Stauwarnungen beschränken. Zu regeln wäre trotz der neuen Ampeln nur noch der Kollaps des Berliner Autoverkehrs. Thomas Knauf

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