Linkshänder erhält spät sein Recht

■ Freispruch nach vier Jahren für einen angeblichen Kreuzberger Steinewerfer/ Polizisten hatten Linkshänder mit rechts werfen sehen

Moabit. Vier nervenaufreibende Gerichtsverhandlungen, mehrere tausend Mark Gerichtskosten und vier blamierte Polizeizeugen sind das Fazit einer Justizposse, die gestern vor der 25. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin zu Ende ging. Die Richter sprachen den 25jährigen Ekkehard B. vom Vorwurf frei, fünf Steine auf Polizeibeamte geworfen zu haben. Vier Jahre dauerte der Prozeß — solange benötigte B., um die Justiz davon zu überzeugen, daß er Linkshänder ist.

Linkshänder gelten bekanntlich als überdurchschnittlich musische Menschen, was in diesem Fall auch auf Ekkehard B., Musiker in einer Berliner Band, zutrifft. Am 8. Dezember 1986, während einer unfriedlichen Demonstration von StudentInnen in der Innenstadt, soll B. nach den Aussagen von vier Polizeibeamten fünf Steine geworfen haben. Die Zeugen waren sich, wie häufig in solchen Fällen, sicher, in dem damals 21jährigen den »Täter« erkannt zu haben. Nur ein kleines Detail ließ die Geschichte etwas holprig klingen: Alle vier Polizisten behaupteten, Ekkehard B. habe mit der rechten Hand geworfen.

B.s Beteuerungen, er sei nur zufällig in die Demonstration hineingeraten und zudem Linkshänder, nutzten nichts. Im April 1987 verurteilte ihn das Amtsgericht Tiergarten zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Der Staatsanwaltschaft genügte das nicht. Sie ging in die Berufung, und das Landgericht Berlin verurteilte den Musiker im September 1987 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Da nutzte es auch nichts, daß ein Sachverständiger zum eindeutigen Ergebnis gekommen war, daß der Angeklagte Linkshänder ist. Auch B.s Angebot, vor den Augen der Richter Probewürfe mit rechts und links zu demonstrieren, wurde nicht beachtet.

Ein Einsehen hatte erst das Kammergericht im April 1988, das den Fall in Revision verhandeln mußte. Den Richtern erschien nicht hinreichend geklärt, warum ein Linkshänder, wenn er denn schon Steine schmeißen will, dazu ausgerechnet den schwächeren rechten Arm benutzt. Den Beweisanträgen des Angeklagten hätten die unteren Instanzen nachgehen müssen. Das Urteil wurde aufgehoben, das Verfahren zur neuen Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die wollte nun nicht mehr ausschließen, daß die Beamten möglicherweise doch einer Personenverwechslung erlegen waren. Unter anderen ein extra aus Westdeutschland eingeflogener Jugendfreund konnte bezeugen, früher gegen Ekkehard B. wegen dessen linkshändiger Vorhand immer beim Tischtennis verloren zu haben. Selbst die Staatsanwaltschaft beantragte nunmehr Freispruch. Die vier Zeugen blieben übrigens bei ihrer Aussage, Ekkehard B. habe die Steine geworfen — mit rechts. Andrea Böhm