Sind nackte Frauen zumutbar?

■ Bezirklicher Kulturkampf um knipsende Neuköllner und nackte Haut in der Volkshochschule

Die Gemüter haben sich bei einer Podiumsdiskussion Ende letzter Woche im Saalbau, der neu ausgebauten Kulturzentrale Neuköllns in der Karl-Marx-Straße, schwungvoll erhitzt. Eine rege Diskussion über elementare Dinge wie die Würde der Frau und die Freiheit der Kunst. Dazwischen Denkdisziplinen wie »Sexismus«, »Pornographie«, »öffentliche Kulturarbeit«. Stein des Anstoßes: eine Fotoausstellung einer Volkshochschule, die erst ab- und dann wieder aufgehängt wurde. »Zensur am Bild der Frau«?

Der Anlaß ist fast tragikomisch: Im letzten Jahr ist eine Fotogruppe der VHS Neukölln von der namhaften italienischen Fotozeitschrift 'Fotocine‘ nach Numana (Norditalien) eingeladen worden. Sie hatten zunächst einmal Fotos aus Neukölln in Mailand ausgestellt — und haben nun erleben können, was sich unter professioneller Fotografie an diesem Ort versteht. Dazu gehört erst einmal, daß die bekannten großen Fotofirmen Filmmaterial wie Bonbons bei einer Hochzeitsfeier unter das laienfotografische Volk warfen; in der besonderen Verwöhnung waren ebenso Hotel wie »so gutes Essen wie sonst noch nie in meinem Leben« (eine Teilnehmerin) inbegriffen. Die sieben Frauen und drei Männer aus Neukölln hatten nun in Windeseile die Themen mitzufotografieren, die andere Fotografen, eben Profis, ohne mit der Wimper zu zucken, gerne absolvierten.

Ihre Ergebnisse haben einen Skandal in Neukölln hervorgerufen; die im Frühjahr im Treppenhaus der VHS in der Boddinstraße aufgehängten Fotos wurden abgehängt bzw. verboten. Zensur? Nach gerichtlichem Einschreiten und aufgeregtem Pressewirbel sind jene Bilder wieder an selbigem Orte aufgehängt worden, etwas anders arrangiert. Zu sehen gibt es zunächst einmal Fotopostkarten, riesig groß aufgeblasen — ach, es könnte die Toskana sein oder sonstwo —, diagonal verlaufende Farbkontraste ocker-hellgrün. Auch mit kleinem Hüttchen, auch mit Strohballen, diese auch in Linien. Ebenso Wasser, Meeresrauschen optisch, also Gischt, Wellenfunkeln, Wasserglitzern. Kein Paradies ohne Palmen, also auch diese, der Blick der Kamera zielt direkt in den Himmel, die Sonne verfängt sich schelmisch in den scharf konturierten Linien der Palmenblätter. Tja, das ananasschleckende Tropenmädchen fehlt (es ist ja keine Reklame für Langnese-Eiskrem!), dafür wird zunächst einmal der Strand näher, sozusagen graphisch analysiert: Die Reling läuft symmetrisch zur Mitte, der Blickfang (oder auch nicht) ist eine Frau mit dem Rücken zum Betrachter. Ach aller Spott ist ungerecht, denn es sind Laienfotos, und der Blick ist in Klischees befangen, die sich vielleicht in den zwei Tagen, wo sich die Fotogruppe an jenen Orten aufhielt, auch nicht ausreflektieren ließen, und die zackigen Felsen am Meer sahen ja wirklich so aus... Der Stein des Anstoßes ist das nächste Thema: Aktfotografie. »Ein blanker Busen, wie er an jedem Kiosk zu sehen ist, sorgte in Neukölln für die Schließung einer Ausstellung«, schrieb die 'Bild‘ am 10.4.90. Die überforderten fotografierenden Neuköllner sind beim Spezialservice der Veranstalter gestrauchelt — und gefallen. Das Angebot waren Mädchen, nackt, jung, hübsch, um die sich Millionen Männer mit mehr oder weniger lang ausgefahrenen Objektiven scharten. »Die Männer entlarven sich doch selbst mit ihren phallusgleichen Objektiven und sehen, wie sie da so auf die Mädchen starren, einfach lächerlich aus«, sagte Traude Redelbach, Politologin, in der Diskussion.

Man sieht also Fotos von Mädchen, wie sie lachend, ihren Narzißmus genießend, von vielen Männern fotografiert werden, und sieht einzelne Mädchen, wie sie sich entkleiden, peu à peu, der Pullover rutscht zentimeterweise hoch, und der Busen ist schließlich im Profil ganz deutlich zu sehen, von seiner schönsten Seite. Das Gesicht der Frau erscheint abwesend, irrelevant. Auf dem Laufsteg kommt der Schenkel der Frau von seiner weiblichsten, rund geformten Seite zur Geltung, das Scheinwerferlicht fängt sich gerade an dieser magischen Stelle, wiederum sind noch mehr Fotografen vom Anblick entzückt, auch sie im Bild. Nachträglich hat die Fotogruppe Barbie-Puppen geknipst — wer kennt nicht die schmalen Fesseln, das blond umflorte Strahlegesicht, die Perfektion an weiblicher Vollkommenheit — und hat diese Bilder vergleichsweise neben die italienischen Modelle gehängt. Ja, was ist der Unterschied? Gar keiner!!

So naseweis ist jedoch nur der ganz naive Betrachter, für die Aussteller soll dieser Vergleich den kritischen Ansatz zeigen, den ich ihnen auch gerne glauben möchte, im Aufbau der Ausstellung wird er jedoch nicht deutlich. Die Entkleidungsszene flirrt lose über die eine Wand, auf der nächsten wird ein Mädchen von den lieben Männern mit Wasser bespritzt — betrübt schaut sie deswegen nicht aus —, dann sitzt eine Rotbekleidete auf einem Fotosofa, dilettantisch drapiert, dilettantisch fotografiert, die Absperrung zum Publikum hin und die synthetische, mit Stoffahnen erzeugte Aura sind hier noch einmal »live« aufgebaut. Die Pose der Frau ist albern, na gut, manche mögen's heiß, auf dem fünften Bild räkelt sie sich wie eine räudige Katze.

Im hintersten der vier Ausstellungsräume kommen wir zu den ganz nackten Tatsachen. Manche der Veranstalter nämlich boten mehr als eine nackte Frau, nämlich zwei nackte Frauen!! Ja, die aktivieren sich dann hübsch vor der Kamera, unser Team hat's festgehalten (bei David Hamilton wären die Farben etwas weicher, die Umrisse verschwommener), die erotische Aussage kulminiert gewissermaßen im Gesicht einer Frau, das mit dem geöffneten Mund an dieser Stelle Orgasmus suggeriert. Aber die Großaufnahme ist eigentlich von einer Tänzerin, die sie ganz woanders fotografiert haben...

Im Haus der Volksbildung war diese Szene im »Peepshow-Styling« aufgebaut in einem sechseckigen Rondell, was die dort arbeitenden Lehrerpersonalrätinnen als unerträglich empfanden, da sie sich damit entwürdigt, beleidigt fühlten. Sie wollen sich wenigstens noch am Arbeitsplatz einigermaßen wohl fühlen können. Werner Korthaase, VHS- Direktor, hat hierfür Verständnis, zumal auch islamische Frauen durch diese Räume gehen und die Volkshochschule möglichst auch für sie etwas Geborgenheit bedeuten soll. Zensur am Bild der Frau (Thema des Abends) wurde zum Schreckgespenst schlechthin... Alles Selbstverständliche mußte gesagt werden, daß Erotik nichts Schlechtes an sich sei, das Freude am nackten Körper nichts Schlechtes sei, daß auch Aktfotografie und Aktzeichnung sein dürften und auch ausgestellt werden dürfen, es fragt sich aber wo, und es fragt sich auch, wie Akte dargestellt werden. Es gibt keine neutrale Tradition, es gibt keinen »normalen« Blick.

Diskussionsleiter und Mitglied der Fotogruppe Peter Held zeigte sich im logischen Denken recht schwach auf der Brust, wurde wegen verdrehter Schilderungen von Herrn Korthaase streng zurechtgewiesen und nannte den Abend »feministischen Stammtisch«. Auch mit dieser Diffamierung kam er keinen Schritt voran.

Eva Willig vom Volksbildungsausschuß der AL stolpert schon lange über Anzeigen in der taz wie: »Suche Wohnung, aber nicht in 44«, und möchte, daß der Bezirk nicht so prüde ist. »Progressiv« soll Neukölln sein, und diese Peinlichkeit hätte man dem Bezirk doch ersparen können... Ein mitausstellender Fotograf hoffte, durch diese Ausstellung eine Diskussion über das Thema Sexismus eventuell in Gang bringen zu können, daß sich also islamische Frauen zum Beispiel über die Bilder empören, den Hausmeister darauf ansprechen, und dieses Wortgefecht zieht dann noch andere vorbeigehende Interessenten an... Ein im Publikum sitzender Bürger nannte es »zutiefst eine Frage des Rechts«, Art. 1 und 2 GG versprächen, »religiöse Gefühle vom Staat zu sichern«, er sei »noch nicht fertig mit der Durchdenkung der Problematik«, jedoch sei in einer Ausstellung im Körnerpark eine Madonna auf Donald-Duck-Basis dargestellt worden und das hätte seine Gefühle als Christ auch verletzt.

Nun, wie kann man/frau »gegen den Strich« den Voyeurismus der Männer, der Medien, fotografieren, wie läßt sich Idelogiekritik fotografisch transportieren? Zunächst ist deutlich geworden, wie schwierig es ist, gängige Sehklischees (auch bei sich selbst) überhaupt zu bemerken, daß Fotos anders sprechen als Worte, daß das Ausstellungskonzept ein Thema in sich ist und daß... — Vielleicht nächstes Mal nur Männer mit Kameras zeigen, kein einziges Modell, und das dann als Aktfotografie annoncieren! Sophia Ferdinand