„Unser Hauptziel war es, an Land zu gehen“

■ Jörn Haye, Steuermann des Motorschiffes „Greenpeace“, das letzte Woche in sowjetischen Gewässern geentert wurde INTERVIEW

taz: Von norwegischer Seite wurde Kritik an der Greenpeace-Aktion im sowjetischen Atomtestgebiet geäußert, weil durch den bewußten Bruch sowjetischen Rechts der gerade begonnene Dialog über Umweltprobleme gefährdet sei.

Jörn Haye:Es ging nicht gegen die Russen, sondern darum, gegen die Atomtests weltweit zu demonstrieren. Nowaja Semlja ist nur der Anfang, wir gehen danach ins amerikanisch-britische Testgebiet nach Nevada und ins französische Versuchsgelände zum Morurora-Atoll.

Nun hat sich ja die Sowjetunion als einziger Staat zu ernsthaften Verhandlungen über einen umfassenden Atomtest-Stopp bereiterklärt. Warum die Landung auf Nowaja Semlja gerade jetzt?

Seit 1962 fanden dort regelmäßig unterirdische Atomsprengungen statt, die letzte, glaube ich, 1988. Nach unseren allerdings schwankenden Informationen war für September oder Oktober der nächste Test geplant. Die Bombe liegt in irgendeinem Schacht und wartet nur darauf, gezündet zu werden. Unser Hauptziel war es, an Land zu gehen, dazusein und gegen die Tests zu protestieren. Was dann passiert, muß sich in der Situation entwickeln.

Wie ist es Euch gelungen, zunächst unbehelligt zu landen und mit einem kleinen Team die Insel sogar zehn Stunden lang zu erkunden?

Schon auf unserer vorangegangenen Informationstour in den sowjetischen Hafenstädten Murmansk, Archangelsk und Narian Mar hatten wir auf den Pressekonferenzen keinen Hehl daraus gemacht, daß wir nach Nowaja Semlja fahren werden und daß wir uns die Insel nicht nur durch die Ferngläser angucken wollten.

Die Grenzpatrouillen hätten uns also erwarten müssen. Als wir an die Bucht ranfuhren, hatten wir auch immer diesen Eisbrecher hinter uns, der uns später stoppte. Dann sind wir mit dem Schlauchboot mit einer Frau und drei Männern in die Bucht reingefahren und dort an einem Torpedo-Boot unbehelligt vorbeigekommen.

Als wir an Land waren, hatten wir unser Ziel eigentlich schon erreicht. Was dann geschah, war für uns selbst nur noch Zugabe.

Hattet Ihr vor der Strahlenbelastung Angst?

Es wird einem schon ganz komisch, wenn die Geigerzähler anfangen zu piepen und die Zeiger über die Limits hinausgehen, dann sieht man zu, daß man ein paar Schritte schneller läuft und dann war es auch schon wieder weg.

Wir hatten auch Schutzanzüge mit und Gasmasken mit entsprechenden Filtern für den Fall eines Atomtests.

Ihr sei an Land festgenommen worden?

Ja. Vom Schiff hatten wir noch per Funk gehört, daß es geentert worden war mit Waffen an Bord. Dann kreiste auch bald der Hubschrauber über uns und hat uns mitgenommen. Wir sind ins Basislager der Marine geflogen worden.

Wie war die Stimmung im Lager?

Nach den ersten Spannungen und Verwunderungen haben wir nett zusammengesessen und uns über das ganze Problem der Atomtests unterhalten. Sie haben darauf hingewiesen, daß sie seit anderthalb Jahren keine Tests mehr gemacht haben und auch keine mehr machen wollen, daß sich aber die Amerikaner nicht entschließen können mitzuziehen.

Wir haben auch erfahren, daß es im Norden der Insel noch ein paar kleine, bewohnte Siedlungen gibt. Wir wurden noch einmal genau untersucht, zum Eisbrecher gebracht und nach Murmansk gefahren.

Wie ist es den Leuten auf dem Schiff ergangen?

Die Situation war dort gespannter, weil die Grenzschützer nicht gewillt waren, ihre Waffen abzulegen, Pistolen wurden gezogen und es wurde auch gedroht zu schießen. Aber die Situation entschärfte sich auch da schnell wieder. Es schien, daß die sowjetischen Soldaten mit der Situation nichts anfangen konnten — bis schließlich von Moskau angerufen wurde.

Dann hieß es sehr schnell, daß wir freizulassen wären. Auf unsere Frage wurde uns auch bestätigt, daß wir in Zukunft jederzeit ein Visum beantragen und in die Sowjetunion einreisen können. Gabi Haas