Alles nur Theater

■ Zur Verleihung der Kritikerpreise der 'Berliner Zeitung‘ KULTURKOMMENTAR

Am Dienstag wurden im Grand Hotel die Kritikerpreise der 'Berliner Zeitung‘ für die Theaterspielzeit 1989/90 übergeben. Ungewöhnlich ist dieser Vorgang nicht. Schließlich verlieh das Ostberliner Blatt seit 1967 am Beginn einer jeden neuen Spielzeit an der Kulturfront erfolgreichen Künstlern Urkunden, Medaillen und nette dekorative Graphik. Über die 28 Preisträger läßt sich auch diesmal streiten, doch da es noch nicht um Geld, sondern nur um die Ehre und kunstgewerblichen Kleinkram geht, kann man auch darauf verzichten. Sicher, erstmals wurden auch Westberliner Künstler und Ensembles mit einem Preis bedacht. Doch auch das ist, ein Jahr nach dem Fall der Mauer, normal. Normal dagegen ist nicht, was sich die Zeitung als besondere Zugabe in diesem Jahr ausdachte.

Drei Sonderpreise wurden gestiftet, mit denen die ehemalige SED-Bezirkszeitung und jetzige Tochter von Maxwell und Gruner + Jahr Ablaß erkaufen und politische Zeichen setzen will. Der Initiativgruppe 4. November der Berliner Theaterschaffenden, die die Massendemo auf dem Alexanderplatz organisierte, wurde von der 'Berliner Zeitung‘ der Sonderpreis »Theater und Politik« verliehen. Das Blatt, das im Oktober die Demonstranten vom 7. und 8. noch als Ruhestörer und Rowdys diffamierte und dessen Mitarbeiter nur nach langer interner Diskussion an der Novemberdemonstration teilnahmen, strickt nun fleißig mit, am Mythos von der kollektiven Revolution.

Der Sonderpreis für die Förderung des nationalen und internationalen Theateraustausches wurde gleich zweimal vergeben. Die Direktorin des von der Auflösung bedrohten Ostberliner Festtagsbüros, Karin Müller, und — man ist außer um Solidarität auch um Ausgewogenheit bemüht — der Chef der Westberliner Konkurrenz, Festwochen-Intendant Dr. Ulrich Eckhardt, erhielten den auf ihre Einrichtungen zugeschnittenen Preis.

Doch damit des neuen journalistischen Opportunismus nicht genug. Als Festredner engagierte das inzwischen vom Ex-'Spiegel‘-Chefredakteur Böhme herausgegebene Blatt nicht etwa den Oppositions-Dandy Konrad Weiß, um ihn über das Versagen der Medien im realsozialistischen Staat sinnieren zu lassen, sondern Volker Hassemer. Und der durfte dann den versammelten Ex- DDR-Künstlern Nachhilfe in postsozialistischem Überlebenskampf erteilen. Keine Weinerlichkeit, sondern neue Selbstgewißheit forderte der ehemalige CDU-Kultursenator von den geehrten und verkaterten »Revolutionären«. André Meier