„Vergebt den Sinti eure Schuld“

Über die vergessenen Opfer des Zigeunerlagers Berlin-Marzahn undüber die schwierige Aufstellung eines Gedenksteins im antifaschistischen SED-Staat  ■ Von Reimar Gilsenbach

Juni 1985. Christen wolle er einladen, sagte Pfarrer Leu zu mir, Gläubige aus Neuenhagen, seinem Dorf, frühsommerliches Fest, Gottesdienst zunächst, sodann Picknick im Pfarrhausgarten nach Zigeunerart. Denn einen Sinn solle ein solches Fest ja haben, und da seien ihm die Zigeuner eingefallen, die Sinti vielmehr. Dörfliches Sintifest also, gedacht als Geste der Brüderlichkeit. Mich sähe er gern als Gast, daß ich spräche in der Dorfkirche, spräche über das Leid der Sinti, und was sich so anböte, ich wüßte ja. Zigeunermusikanten solle ich mitbringen, Gitarren als Mittel der Verständigung, ungewöhnliches Musizieren nach erstem Besinnen.

„Zigeunersteak vom Grill?“ Mißtrauisch wehre ich das Ansinnen ab. „Lagerfeuer mit Flamenco und Csárdás oder weiß der Teufel, womit — Carmen hoch Zigeunerbaron, der ganze alte Schwachsinn verdammter Zigeunerromantik.“ „Nein“, beteuert der Pfarrer, „an Auschwitz dachte ich, an Babi Jar...“ „Um Gottes Willen nicht an Marzahn!“ fahr ich dem Gottesmann ins Wort. „Das liegt ja gleich vor ihrer Kirchentür.“

„Marzahn?“ fragt er und weiß von nichts.

Zigeunerlager Marzahn. Ein Stück Berliner Geschichte, verdrängt und unerinnert. „Rastplatz“ nannten es die Nazis, ein Tarnwort, so, wie sie „Sonderbehandlung“ sagten, wenn sie Mord durch Gas meinten. „Rastplatz Marzahn“ — das erste Lager für rassisch Verfolgte, das allererste. Im Mai 1936 hat Hitler es einrichten lassen, rechtzeitig vor den Olympischen Spielen — die Sportjugend der Welt sollte die Reichshauptstadt zigeunerfrei sehen.

Noch bevor die Synagogen brannten, gab es Marzahn, noch vor Buchenwald und Ravensbrück, noch vor den Ghettos von Lodź und Warschau, noch vor Treblinka und Auschwitz waren die Sinti an den Rand der Rieselfelder vebannt. „Nie hat dort jemand eine Rose niedergelegt“, sage ich zum Pfarrer, „tun Sie es jetzt, und dann, na gut, komm' ich zu ihrem Sintifest.“

Die Anmeldung des Gebets

Drei Bäume blühen in Marzahn. Ein Flecken Ödnis, umrahmt von den Betonkulissen der Neubaublocks. Drei Kastanien, wo zur Hitlerzeit dicht an dicht Wohnwagen standen, und die Polizeibaracke. „Zigeunerlager Marzahn“, abgegrenzt gegen Dorf und Umgebung, bewacht von scharfen Polizisten und ihren deutschen Schäferhunden, neun Nazijahre lang, eine Ewigkeit der Angst.

Die Opfer? Zwölfhundert mögen es gewesen sein, Männer, Frauen und Kinder. Zwölfhundert Sinti oder mehr sind durch dieses Lager auf den Weg nach Buchenwald gegangen, nach Sachsenhausen und Ravensbrück, auf den Weg nach Auschwitz. Keine Erinnerungstafel, kein Mahnmal, keine Blume.

Im April 1945, als die Armeen der Marschälle Shukow und Konew gegen Berlin anrannten, befreiten Sowjetsoldaten auch das „Zigeunerlager Marzahn“, so nebenbei, im Vormarsch, ohne Aufsehen. Zwei Dutzend Sinti trafen sie an, elend, abgerissen, halb verhungert. Zwei Dutzend, trauernd um zwölfhundert Deportierte und Ermordete. Zwei Dutzend Verzweifelte.

„Gehen Sie zu den drei Kastanien“, sag ich zum Pfarrer, „gehen Sie am Tag des Dorffestes dorthin: drei Gedenkminuten, Gebet, ein Strauß Rosen. Nun endlich, vierzig Jahre nach der Befreiung — ja, das wäre ein Anfang, vielleicht.“

Pfarrer Leu, braver Christ und gebunden an Vorschriften, Pfarrer Leu also verfaßte eine Veranstaltungsanmeldung: „Zigeunerlager Marzahn — Gedenkminuten.“

Auch das Gebet legte er bei, das er halten möchte unter den drei Kastanien, als Abschrift legte er das Gebet bei, zu sprechen vor einer Handvoll Christen und im Beisein von einem Dutzend Sinti, den Kindern und Enkeln der Opfer.

„Herr, wir sind gemeinsam an diesen Ort der Erinnerung gegangen.“ So steht es in der Abschrift, und so prüften es die Volkspolizisten. „Uns begegnet vergangene Schuld. Welches Gedenken ist schon angemessen den Abgründen des Grauens! Laß aus dieser Erinnerung uns Verantwortung wachsen füreinander, für unsere Welt und ihre Befreiung zum Frieden. Amen.“

In den Frühlingswochen fünfundachtzig, vierzig Jahre nach dem Ende des Krieges, vierzig Jahre nach der Kapitulation der Hitlerarmee, hat dieses Land viele ernste Reden gehört. Überall ist gedacht worden der Opfer, die gestorben sind unter dem Fallbeil, zugrunde gegangen in Lagern, erstickt im Gas, verröchelt an den Straßen der Todesmärsche.

Höchste Repräsentanten des Staates und der Partei haben gesprochen, gefeierte Veteranen des Widerstandes. Nur: Kein einziger Redner hat unter den Opfern die Sinti erwähnt, selbst auf den Kundgebungen an ihren Todesstätten nicht, nicht in Buchenwald und nicht in Sachsenhausen oder Ravensbrück. Und keiner von all den Rednern ist nach Marzahn gegangen!

Nun aber die Anmeldung des Pfarrers! Drei blühende Kastanien, ein Dutzend Sinti, eine Gruppe Christen, Gedenkminuten und Gebet. Genossen, faßt euch ein Herz, verfügt kein Verbot, und wenn's auch nur „Zigeuner“ sind. Laßt es zu, ihrer drei Minuten zu gedenken oder wenigstens zwei. Ungewöhnlich ist's, ich geb's ja zu. Nur: Schadet es uns?

Das Verbot aus dem Erlaubniswesen

Schluß aus! widersprachen die Genossen. Nein! entschied die VP- Inspektion, Abteilung Erlaubniswesen. In den fünf vergangenen Wochen, verlautbarte sie, vierzig Jahre nach der Zerschlagung des Faschismus, vierzig Jahre nach der Befreiung durch die Sowjetarmee, überall in unserem Land sei der Opfer gedacht worden, der Widerstandskämpfer, ja, auch der rassisch Verfolgten, höchste Vertreter des Staates hätten gesprochen und der Partei — nun sei es genug.

Kein Gebet in Marzahn, keine Minute des Gedenkens unter den drei Kastanien, verboten selbst das Schweigen. Vier Sinti nehmen ihre Gitarren. Laßt uns aufspielen zum Kirchenfest! Zigeunermusik — die gläubigen Gadsche im Dorf sollen ihr bißchen Spaß haben.

Hört die Gitarren der Sinti! Gedrängt voll die Kirche. Von Auschwitz spreche ich, vom Völkermord, begangen an den Roma, den Sinti, den Kale, den Manusch. Hört den Swing der Sinti, hört den Jazz! Das Zigeunerlager Marzahn erwähne ich, verschweige nicht das Verbot. Hört das lästerliche Spiel, diese verhexten Klänge! Mich Kommunisten, sage ich, aufgewachsen im Widerstand, verhaftet dieser Herkunft, mich sehen Sie tief beschämt.

Die Christen lauschen dem Sinti- Swing und schweigen.

Zwölf Monate später, Marzahn, alter Friedhof. Eine leere Doppelgrabstätte, mit frischem Kies überzogen, abseits gelegen. Hier soll bald ein Sintistein aufgestellt werden, zur Erinnerung an das Marzahn-Lager. Auf dem Kies ein Blumengebinde. Christen haben es eben niedergelegt. Sie sind gekommen, der vergessenen Verfolgten zu gedenken. Kein Verbot diesmal, alles geht seinen geordneten Gang. Bruno Schottstädt, Pfarrer in der Marzahner Neubaublockstadt, spricht das Gebet für die Sinti.

Genau ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit geschah, woran nun auch der Superintendent des Kirchenkreises Berlin-Lichtenberg, Joachim Rißmann, erinnert: Die Vertreibung der Sinti aus Berlin, die Errichtung des Zigeunerzwangslagers Marzahn, die erste Ghettoisierung rassisch Verfolgter.

Christen aus Marzahn hören den Worten des Superintendenten und des Pfarrers zu. Ob sie sich des unerhörten Geschehens bewußt sind? Zum ersten Mal wird in der DDR — sie versteht sich als Staat der Antifaschisten! — öffentlich der Sinti gedacht, einer winzigen ethnisch-sozialen Minderheit, die durch den Nazismus bis an den Rand des Ausgelöschtsein getrieben worden ist.

Zeuge des Gedenkens sind auch Berliner Sinti: Kinder und Enkel der Gepeinigten. Wenige nur, keine zwanzig. Die evangelische Kirche hat sie eingeladen. Für die Alten kam die Feier zu spät: Im Osten Berlins lebt keiner mehr, der im Zigeunerlager Marzahn festgesetzt war.

Was empfinden die Nachfahren, wenn der solange totgeschwiegenen Toten gedacht wird? Ihrer Toten? Dankbarkeit gegenüber den Gadsche, den Christen, die sich nun endlich ans Beten für die Sinti machen?

Nein, sie sind eher verwirrt. Unter den Sinti sehe ich Lotte, Frau Hänschens, des Sinti-Swing-Gitarristen. Sie ist die Tochter von Seemann, der in Auschwitz seine Geschwister verlor, alle acht. Ihre Mutter hieß Kaula, sie war eine jener elf Sinti, von denen Alex Wedding in ihrem Kinderroman Ede und Unku erzählt.

Als einzige der Elf hat Kaula die Hitlerjahre überlebt. Neun davon im Marzahn-Lager! Kaula hat nie ein Wort der Achtung, nie ein Wort des Mitempfindens gehört, obwohl Millionen von DDR-Kindern ihren Namen gelesen haben. Ein einziges Mal — ich sprach in einer Kinderbibliothek über die Sinti und hatte Kaula gebeten, mit mir zu kommen — haben Kinder ihr einen Blumenstrauß überreicht. Da hat sie geweint.

Als ich Kaula und Seemann kennenlernte, waren beide nicht als Verfolgte des Naziregimes anerkannt. Diese Ungerechtigkeit erbitterte mich. Ich bot alles auf, was mir nur möglich war, bis hin zum Politbüro, und... Ja, wie soll ich es nennen? Ich erreichte — zwanzig Jahre nach der Befreiung! — für beide Eltern die amtliche Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes. Froh über den Erfolg, fühlte ich mich zugleich beschämt. Mich würgte der Zorn. Gerechtigkeit? Was ich getan hatte, war irgendetwas zwischen Erbetteln und Erzwingen.

Pfarrer Schottstädts Gebet, erster Riß in der Mauer des Schweigens. Nicht viele aus seiner Gemeinde sind gekommen, um eine Geste der Versöhnung gegenüber den Sinti zu machen, aber einige doch. Ein Anfang, ein Zeichen. Andere Gäste der Friedhofsfeier haben eine weite Reise gemacht: Roma aus Ungarn, ein Chor, den ein ungarischer Pfarrer ins Leben gerufen hat. Sie singen vom Leid ihres Volkes, zu dem ja auch die Sinti gehören, sie singen von seiner Liebe. „Zum ersten Mal gedenken die Gadsch eurer Verfolgten, eurer Toten“, sage ich zu Lotte. „Magst du die Lieder der Roma?“ Sie nickt stumm.

Gedenkstein ohne Gedächtnis

Inzwischen steht auf der Grabstätte ein Findling, von Eingeweihten kurz Sintistein genannt. Am 12.September 1986, dem Vorabend des Internationalen Gedenktages für die Opfer des Faschismus, ist er eingeweiht worden.

Kaum ein Besucher des Friedhofs kennt ihn, erinnert sich, was die Inschrift sollte. Sie ist verwittert. Schon nach zwei Jahren war kein Buchstabe mehr lesbar. Auch dies ein Symptom: Sintistein, Stein der vergessenen Opfer, Stein des Schweigens.

Seine Vorgeschichte: Eingaben.

Zehn Jahre lang versuchte ich mich daran, schrieb, bat, forderte. Ein Don Quijote, der für vergaste Sinti eintritt. Ein Narr, der einen Liedtext geschrieben hat, in dem die Zeilen stehen:

O Django, hör das Hundekläffen von Auschwitz, /Kommandos, Schläge, Gebrüll auf dem Weg in das Gas. /Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, schrei: /Zigeuner — im Aufstand der Sterbenden /widerstehend! Ach, schlimm war die Nacht, /eh' sie vergingen im Rauch, deine Brüder. /Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, klagt: /Noch jenseits von Auschwitz /verhöhnt euch der Gadscho:

Der Opfer gedenkend, /verschweigt er die toten Zigeuner. /O Django, sing! Sing deinen Zorn!

Zuletzt blieb mir nur das Übliche: Eingabe an Erich Honecker. Neun Punkte, geschrieben am 8.März 1985. Die Antwort erhielt ich im Zentralkomitee der SED, Abteilung Kultur, Genose Horst Lubos. Punkt1: Die Sinti der DDR als ethnische Minderheit anerkennen! Wird verworfen. Punkt7: Aureiseanträge. Striktes Verbot. Das geht dich nichts an, darüber entscheiden die zuständigen Organe!

Andere Punkte werden zögernd akzeptiert, darunter auch mein Anliegen, am Ort der beiden großen Nazizwangslager für „Zigeuner“ in Berlin-Marzahn und Magdeburg „Gedenktafeln anzubringen oder eine kleine Gedenkstätte zu schaffen“. Den Stein für das Marzahn-Lager gestaltete der Berliner Bildhauer Jürgen Raue, für Magdeburg steht eine Lösung noch immer aus.

Wie wird ein Sintistein eingeweiht? Pfarrer Leu hat mir seine Notizen geschickt. Es begann so: Nunnu, ein Sintu, ruft den Pfarrer an: „Auf dem Marzahner Friedhof wird ein Gedenkstein für die Sinti eingeweiht, wir fahren hin.“

„Wann?“ — „Jetzt gleich, in einer Stunde.“ Verwundert fragt Pfarrer Leu zurück: „Seid ihr eingeladen?“ — „Nein, kein einziger Sintu.“ — „Aber woher wißt ihr es?“

„Eine Arbeiterin vom Friedhof hat es uns erzählt. Gestern, als Lotte am Grab von Kaula und Seemann war.“

Pfarrer Leu trifft noch vor den Sinti auf dem Friedhof ein. Auf der Doppelgrabstätte steht der weißverhüllte Gedenkstein. Zwei FDJler halten Kränze, der Bildhauer ist da, zwei Fotografen, der erste Sekretär der SED-Stadtbezirksleitung Marzahn, der Redner, einige andere.

„Sind Sie freiwillig hier?“ wird Pfarrer Leu gefragt. „Ja“, antwortet er und erntet Kopfschütteln.

Ein Zug von gut sechzig Männern und Frauen nähert sich. Sie stellen sich im Halbkreis vor dem Stein auf. Der Redner erinnert an die Leiden der Juden, auch der Sinti und Roma, an den Widersand der Kommunisten und Christen. Jetzt, so versichert er, seien die Sinti gleichberechtigte Bürger im sozialistischen Staat.

Während der Rede kommen Lotte, Hänschen und fünf andere Sinti hinzu. Pendelverkehr, die S-Bahn hatte Verspätung. Als kleine Gruppe bleiben die Ungeladenen ein wenig abseits stehen. Nach der Rede das Brecht-Gedicht An die Nachgeborenen. Ungewollter Effekt: Die letzten Zeilen wirken so, als wolle sich der Rezitator bei den Sinti entschuldigen:

Ihr aber, wenn es soweit sein wird

Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist

Gedenkt unser

Mit Nachsicht.

Enthüllung, Kränze, Blumen — der Stein ist eingeweiht. Im Abgehen bemerkt der erste Sekretär die Sinti. „Sie sind auch da?“ erkundigt er sich leutselig. „Woher wußten Sie denn von der Einweihung?“

Sintistein — seine Inschrift ist längst verblichen. Sie lautete:

Vom Mai 1936 bis zur Befreiung unseres Volkes durch die ruhmreiche Sowjetarmee litten in einem Zwangslager unweit dieser Stätte hunderte Angehörige der Sinti. Ehre den Opfern.

Ein Satz, der die Verfolgten an die letzte Stelle setzt; ein Satz, der nicht von den Sinti, sondern seltsam nebulös von ihren „Angehörigen“ spricht; ein Satz, der die Befreiung unseres Volkes, also der Deutschen — sie selbst empfanden das Kriegsende in ihrer Mehrzahl als „Zusammenbruch“! —, im selben Atemzug mit der Befreiung der Sinti nennt, gleichsam als sei zwischen Täter und Opfer kein Unterschied; ein Satz, der das Schlimmste verschweigt: Die Sowjetsoldaten trafen im Marzahn- Lager nur die winzige Schar Überlebender an, alle anderen, die Masse der Berliner Sinti, waren in KZ-Sklaverei und Vernichtung deportiert.

Die Ausreise des Schaustellers Silvio G.

Sommer 1989. Der Schausteller Silvio G. bittet mich, ihm zu helfen, seine Ausreise zu erlangen. Verlegen schüttele ich den Kopf und berichte von meiner Eingabe an Erich Honecker. „Mich bindet das Verbot des ZK“, erkläre ich meine Hilflosigkeit. „Mein Versuch würde ihnen eher schaden als nützen.“

Dreimal hat Silvio den Antrag gestellt. Der Anlaß? Er war drüben gewesen, im Westen, hatte Verwandte besucht, unter Sinti gelebt, mit ihnen gefeiert. „Die halten sich noch an die Sitten und Gebräuche unseres Volkes, ganz gewaltig“, schwärmt er. „Ich möchte, daß meine Kinder unsere Sprache richtig lernen, gab den Antrag beim Inneren ab, wollte den reellen Weg gehen.“

Gleichberechtigte ohne Recht! Willst du wissen, wie frei ein Land ist und wie menschlich, frage seine Zigeuner.

Als sich am 9.November 1989 die Grenzen öffneten, verließ auch Silvio G. das Land.

Eines hat die „Wende“ in der DDR für den Sintistein auf dem Marzahner Friedhof gebracht: Er ist neu gestaltet worden. Nach meinem Vorschlag stehen neben ihm nun drei Tafeln, die an die Leidensgeschichte der Berliner Sinti erinnern. Die Inschriften sind nach meinem Entwurf ausgeführt worden, nur in einem Punkt weichen sie ab. Die Hauptinschrift sollte lauten: „VERGEBT DEN SINTI EURE SCHULD! Den Berliner Sinti, die im ,Zigeunerlager‘ Marzahn litten und in Auschwitz starben (Mai 1936 bis Mai 1945). ATSCHEN MO DEVLEHA!“ Die Titelzeile mußte wegfallen — sie sei mißverständlich.

Vergebt den Sinti eure Schuld!

Der 1925 geborene Schriftsteller Reimar Gilsenbach lebt in Brodowin/Brandenburg. Seit 1964 befaßte er sich in zahlreichen Publikationen mit dem Schicksal und dem Leben der Sinti und Roma. Als Soldat lief Gilsenbach im März 1944 zur Roten Armee über.