Honecker darf weiter spazierengehen

■ Noch kein Haftbefehl/ Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Honecker, Mielke, Tisch und andere

Berlin (taz) — Der ehemalige Staats- und Parteichef der DDR, Erich Honecker, darf vorerst weiterhin in Beelitz bei Berlin spazierengehen. Ein Haftbefehl ist von der Westberliner Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der „Regierungskriminalität“ in der DDR, die seit dem 3.Oktober die Verfahren gegen ehemalige Mitglieder des Staats- und Parteiapparats übernommen hat, bisher nicht erlassen worden. Die Arbeitsgruppe unter Leitung von Christoph Schaefgen gab gestern einen Zwischenbericht.

Wegen des im Einigungsvertrag festgelegten Tatortprinzips müssen die Berliner Justizbehörden die Ermittlungen der ehemaligen DDR- Staatsanwaltschaft übernehmen. Die Arbeitsgruppe sitzt derzeit einem Aktenberg von 1.000 Akten und 150 sogenannten Beistücken. Gegen Honecker wird wegen Mordes und Körperverletzungen im Zusammenhang mit dem Schießbefehl ermittelt; außerdem wird sein Beitrag zur Vergeudung finanzieller Mittel in Höhe von 62,5 Millionen Mark bei der Funtkionärssiedlung Wandlitz untersucht.

Wie die Berliner Jusitzsenatorin Jutta Limbach (SPD) gestern erklärte, sei der Erwartungsdruck der Öffentlichkeit auf die Berliner Staatsanwaltschaft enorm hoch. Zu allererst mußte sich die Arbeitsgruppe nach Angaben von Schaefgen mit den Fällen Erich Mielke und Harry Tisch befassen, da gegen sie bereits in der DDR Haftbefehle erlassen worden waren. Der Ex-Stasi-Chef und der frühere Gewerkschaftsboß sitzen derzeit im Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit. Gegen Mielke gebe es dringenden Tatverdacht bei der Verletzung des Brief- und Fernmeldegeheimnisses und der Veruntreuung. Außerdem soll er illegale Festnahmen während der DDR-Feiern zum 40. Jahrestag zu verantworten haben. Tisch wird vorgeworfen, Millionenbeträge veruntreut zu haben.

Beide Häftlinge sind in Moabit untersucht worden. Ihr Gesundheitszustand sei befriedigend, und sie seien beide haftfähig. Wegen der Dringlichkeit dieser beiden Fälle mußten alle anderen vorerst zurückstehen, versuchten Limbach und Schaefgen die bohrenden Nachfragen zu Honecker abzuwiegeln. Auch wann gegen Honecker möglicherweise ein Verfahren eröffnet wird, konnten beide nicht beantworten. Weitere Ermittlungen laufen gegen Werner Krolikowski, Günter Mittag, Hermann Axen, Willi Stoph und Alexander Schalck-Golodkowski. Kordula Doerfler