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Er war wirklich Mister Music

■ Hellmut Stern, Erster Geiger bei den Berliner Philharmonikern, über seine Begegnungen mit Leonard Bernstein

Meine Geschichte mit Bernstein begann 1951 im Israel Philharmonic Orchestra. Er stimmte mich damals sozusagen ins Orchester. Ich war 20 Jahre alt und bewarb mich auf Empfehlung von Isaac Stern, Bernstein war Vorsitzender der Einstellungskommission. Das Orchester hatte damals keinen festen Chefdirigenten, sondern nur Gastdirigenten, die aber mindestens einen Monat blieben. Bernstein war sehr häufig da. Wie jeder Gastdirigent hatte auch er das Recht, bei der Auswahl neuer Orchestermitglieder mit zwei Stimmen mitzuentscheiden. Anders als hierzulande stimmt dort nicht das ganze Orchester ab, sondern es gibt eine spezielle gewählte Kommission, der der jeweilige Gastdirigent vorsitzt.

In der Zeit meiner Migliedschaft dort im Orchester, bis Ende '56, war ich sehr viel mit Bernstein zusammen, auch auf Reisen. Bei einem Gastspiel 1955 in Italien spielten wir Bernsteins „Serenade“ für Violine und Orchester als Uraufführung, mit Isaac Stern als Solisten. Wir spielten vom Manuskript, die „Serenade“ gab es noch nicht gedruckt.

Das Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester war intensiver als normalerweise. Er war ja noch sehr jung, wir waren Kollegen, waren befreundet. Abends sind wir gemeinsam ausgegangen, haben getrunken und Jazz gespielt, immer haben wir Jazz gespielt. Egal in welchem Restaurant wir waren, Bernstein setzte sich sofort ans Klavier und fing an zu spielen. Wer eine Klarinette hatte oder auf der Geige jazzen konnte, spielte mit, oft bis drei Uhr morgens.

Die Proben mit Bernstein waren fantastisch. Es läßt sich kaum vergleichen mit einem andern Dirigenten. Was er in musikalischen Dingen zu sagen hatte, überzeugte, leuchtete ein, gleichzeitig konnte man immer mit ihm diskutieren. In Israel wird ja viel diskutiert, jeder hat da eine Meinung, manchmal sogar zwei.

Dazu kam seine Körpersprache, er war ja ein Mensch, der mit seinem ganzen Körper Musik machte. Er hatte ein unbeschreibliches Gefühl fürs Rhythmische. Man sagt ja oft, sein Dirigieren sei auch viel Show gewesen. Aber das stimmt nicht, er spielte keine Rolle, er war tatsächlich so. Er war einfach ein äußerst extrovertierter Mann. Auch legte er, anders als andere, wenig Wert auf das nur ästhetisch Schöne, im Gegenteil, manchmal war er recht unästhetisch. Er suchte immer nach dem Inneren der Musik, nach dem, was man als Wahrheit bezeichnet. Darüber hinaus kannte er jedes Instrument, war ein brillanter Pianist und ein brillanter Kammermusiker. Alles was er anpackte, war Musik. Er war wirklich Mister Music. Es gibt wenige, vor deren Musikalität ich solchen Respekt habe.

Mit den Berliner Philharmonikern hat er nur einmal gespielt, Mahlers Neunte, 1982. Seine Art des Umgangs mit Leuten machte den Kollegen einige Schwierigkeiten, sein liebevolles Frotzeln waren sie nicht gewohnt. Sie hatten soviel Respekt vor ihm, daß sie sich nicht so schnell lösen konnten. Die Verehrung ließ sie zunächst Distanz wahren. Daraus schloß er wiederum, daß wir keinen Humor hätten: „Die können ja noch nicht mal lächeln.“ Ich habe ihm dann erklärt, sie hätten eine riesen Achtung vor ihm, aber es war schwer, ihn davon abzubringen. Das Konzert fand er dann aber auch fantastisch.

Man darf auch nicht vergessen, daß damals noch Karajan da war. Irgendwo sah er in allem den Schatten Karajans, dachte, wir seien von ihm beeinflußt. Und er begriff nicht, daß wir als Orchester ihn unbedingt haben wollten, daß wir uns beklagten, daß er wegen Karajan nicht kommen konnte, daß das ein Skandal ist.

taz: Bernstein gehörte ja auch zum Kreis der Dirigenten, die die Berliner Philharmoniker bei einem Konzert in Israel dirigieren sollten, was aber zu Lebzeiten Karajans nie zustande kam. Wie hat er sich in diesem Zusammenhang geäußert?

Natürlich hat er verstanden, daß Karajan nicht wollte, daß die Berliner ohne ihn nach Israel fahren (Karajan selbst war wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft in Israel nicht erwünscht, d.Red.) Aber Harry Kraut, die rechte Hand von Bernstein, hat immer gesagt, auch zu mir persönlich, als ich ihn wegen Israel in New York anrief, Bernstein wolle sich ausdrücklich nicht zwischen das Orchester und Herrn von Karajan stellen.

Aber vor zwei Jahren kam es doch zu einem Gespräch und zu einer Art Versöhnung zwischen den beiden in Salzburg und zu vielen Kontakten zwischen einzelnen Orchestermusikern und Bernstein, vor allem im Rahmen des Schleswig-Holstein- Musikfestivals. So wurden dann doch wieder Vereinbarungen getroffen. Im Terminkalender standen der 31. März und der 1. April 1992.

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