Unruhe unter Bagdads „Gastgeiseln“

Die im Irak festgehaltenen Westler fühlen sich von ihren Regierungen im Stich gelassen/ Deutsche und Italiener starten Protestaktionen/ „Die da oben sollen endlich mal ihren Arsch hier runter bewegen“/ Bagdad: „Wir alle sind Gäste“  ■ Aus Bagdad Klaus Kurzweil

Seit Mittwoch befinden sich fünf Italiener in der italienischen Botschaft in Bagdad im Hungerstreik. Sie protestieren gegen die italienische Golfpolitik, die ihrer Meinung nach den Frieden im Nahen Osten und damit ihre eigene Sicherheit gefährdet. Italien unterstützt wie alle EG-Staaten die Amerikaner gegen den Irak und hat Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge im Golf und in Saudi-Arabien stationiert.

Die Hungerstreikenden verweigern die Nahrungsaufnahme in einer Zeit, in der so mancher Iraker gerne mehr zu essen hätte. Die von den Vereinten Nationen verhängte Wirtschaftsblockade gegen den Irak hat die Lebensmittelpreise im Land so in die Höhe getrieben, daß vor allem Iraker aus der Unterschicht bereits mangelhaft versorgt sind. Die hungerstreikenden Italiener gehören zu den mehreren tausend Bürgern westlicher Staaten, denen die irakische Regierung die Ausreise verweigert. Die Regierung Saddam Husseins nennt diese Ausländer „Gäste des irakischen Volkes“, der Rest der Welt spricht von „Geiseln“.

Journalisten in Bagdad haben den Begriff „guestage“ kreiert, zu deutsch heißt das etwa „Gastgeisel“. Die irakische Regierung jongliert mit den Begrifflichkeiten. Informationsminister Latif Jassem erklärte vor einigen Tagen vor laufenden Fernsehkameras: „Im Moment kann wegen der Sanktionen niemand das Land verlassen, auch Iraker nicht. Wir alle sind Gäste.“

Die „Gäste“ in der italienischen Botschaft gehören unter den Unglücklichen noch zu den Glücklichsten. Sie dürfen sich offiziell im ganzen Land frei bewegen, aber über die Grenze dürfen sie nicht. Sie sind nicht wie Zehntausende von Asiaten, Ägyptern und Sudanesen in Kuwait oder auf der Flucht durch Jordanien vom Verhungern und Verdursten bedroht. Sie gehören auch nicht zu der von Journalisten „Spezialgäste“ genannten Gruppe: mehrere Hundert Westler, die von den Irakis an militärstrategisch wichtige Punkte verschleppt wurden und dort auf einen friedlichen Ausgang des Golfkonfliktes hoffen, denn im Falle eines Krieges müssen sie damit rechnen, bei einer Bombardierung des jeweiligen „Ziels“ mit in die Luft zu fliegen.

Doch auch die normalen „Gäste“ haben genügend Anlaß zur Sorge. Zwar wohnen die meisten von ihnen in luxuriösen Hotels oder schicken Privatwohnungen in Bagdad, aber im Falle eines Krieges gilt die ganze Stadt als militärstrategisch relevant. Die Angst, gegebenenfalls von den mit der eigenen Regierung alliierten Truppen ausgebombt zu werden, meistern viele Bagdad-„Gäste“ mit schwarzem Humor. Ein „Gast“ erklärt seinen Status: „Ich bin im Moment Friedenstaube, aber schon morgen kann ich zum Grillhähnchen geworden sein.“

Der Hungerstreik der Italiener zeigt, daß es unter Iraks „Gästen“ unruhig wird. Von Demonstrationen gegen die Politik des eigenen Landes und Petitionen an die eigene Regierung und/oder den Papst ist die Rede. Die Deutschen, die sich bisher eher zurückhielten, haben in diesen Tagen einen Brief an Bundeskanzler Kohl geschrieben. Der Inhalt wird noch geheim gehalten. Die Autoren befürchten, „daß der Irak diesen Brief für seine Propaganda benutzen kann“. Solche Aktionen kommender irakischen Führung in der Tat gelegen, und das Informationsministerium informiert prompt und gerne über den Hungerstreik der Italiener.

Trotz vorläufiger Geheimhaltung faßt einer der deutschen Unterzeichner, die Intention des Briefes markig zusammen: „Wir fühlen uns von der Bundesregierung im Stich gelassen. Wir wollen, daß die da oben ihren Arsch endlich mal hier runter bewegen. Politiker und Vertreter der Wirtschaft sollen zu Gesprächen nach Bagdad kommen und uns hier raus holen.“

Während Friedensdelegationen aus Spanien, Italien, Japan, Schweden usw. und selbsternannte Diplomaten, wie der Vorsitzende der islamischen Gemeinde Englands, Jussuf Islam — besser bekannt unter dem Popstarpseudonym Cat Stevens — sich in Bagdads Misterien die Klinken in die Hand geben, ist der Diplomatenstrom aus Deutschland gering.

Eine Abgeordnete der früheren DDR-Volkskammer kam nach Bagdad, als es die DDR schon nicht mehr gab und durfte vier deutsche „Spezialgäste“ mit in die Heimat nehmen; kurz darauf kamen zwei SPD-Europaparlamentarier und reisten mit leeren Händen wieder ab.

Die von Journalisten „peaceniks“ genannten Delegationen und Hobbydiplomaten haben dagegen vergleichsweise viel Erfolg. Einer spanischen Friedensdelegation gelang es dieser Tage, die verbliebenen 15 spanischen „Gäste“ mit nach Hause zu nehmen, nachdem die Delegationsleiterin Saddam Hussein eine „Friedensmedaille“ an das Revers steckte, und auch Cat Stevens soll es gelungen sein, einigen Kranken Briten das Ausreisevisum zu beschaffen.

Bisher hoffen viele der deutschen „Gäste“ auf Wegen der Geheimdiplomatie den Irak verlassen zu können. Wenn schon nicht die Bundesregierung, dann sollte doch wenigstens die eigene Firma, die seit Jahren beste Beziehungen zum Irak unterhält, in der Lage sein, die eigenen Mitarbeiter aus dem Irak zu schleusen, dachten viele.

Tatsächlich haben es seitdem aber nur ganz, ganz wenige deutsche „Gäste“ geschafft, den Irak mit Sondergenehmigung der irakischen Regierung zu verlassen. Die Zurückbleibenden fühlen sich sitzengelassen. Ein führender Vertreter eines großen deutschen Unternehmens, der noch vor zwei Wochen optimistisch erklärte: „Es gibt hier unten deutsche Firmen, die sind mächtiger als die Bundesregierung“, meinte vor einigen Tagen: „Ich habe gelernt, daß ich für meine Firma den Status eines Spions habe. Ich werde unterstützt und gepflegt, solange ich hier unten gute Geschäfte mache, wenn ich ausfalle, kennt mich meine Firma nicht mehr.“