Thüringer Bündnis probt den Aufstand

Gegen den in Berlin beschlossenen Bündnisvertrag hoben die Thüringer Vera Wollenberger von den Grünen auf den Schild/ Keiner will die Kandidatinnen des Unabhängigen Frauenverbandes  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Erfurt (taz) — In Thüringen ist die Listenverbindung Grüne/Bündnis 90 seit dem Wochenende Realität: Mit neun gegen drei Stimmen wählten die gewählten Delegierten der Grünen, des Neuen Forums (NF), der Bewegung Demokratie Jetzt (DJ) und des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) die 38jährige Dissidentin der Ex-DDR und amtierende Bundestagsabgeordente Vera Wollenberger zur Spitzenkandidatin der Vereinigung in Thüringen.

Das Ergebnis der Listenaufstellung im Johannes-Lang-Haus in Erfurt ist eine schallende Ohrfeige für den Wahl-Koordinationsrat der Grünen/Bündnis 90, der auf einer Nachtsitzung am Freitag in einem sogenannten Wahlvertrag den Thüringern eine Kandidatin aus den Reihen des UFV vor die Nase gesetzt hatte. Doch bis auf die drei Delegierten des UFV stimmten in Erfurt alle anderen, am Bündnis beteiligten Gruppierungen für Vera Wollenberger von den Grünen — „eine Persönlichkeitswahl“, wie der auf Platz sechs der Landtagsliste des Bündnisses Grüne/NF/DJ gerade noch ins Parlament „gerutschte“ Jenaer Olaf Möller (Grüne) auf Nachfrage erklärte.

Wollenberger, die wegen ihres Engagements in der Friedensbewegung im Gefängnis saß und vom SED-Regime nach England abgeschoben wurde, sei eine weit über die Grenzen Thüringens hinaus bekannte „Symbolfigur“ für den Widerstand gegen das stalinistische System der Vergangenheit. Möller: „Wollenberger hatte in Thüringen drei Basisvoten für ihre Spitzenkandidatur. Wie der Koordinierungsrat in Berlin auf die Idee kam, die Frau nach Brandenburg zu verschieben, ist uns hier ein Rätsel.“

Auch Vera Wollenberger selbst war am Sonnabend auf der Landesmitgliederversammlung der Grünen in Erfurt fest entschlossen, sich dem „Diktat“ des Koordinierungsrates nicht zu beugen. Nur für den Fall, daß das gesamte Wahlbündnis an der Frage der Besetzung der Spitzenplätze in Thüringen und Brandenburg platzen sollte, signalisierte Wollenberger ihre Bereitschaft, in Brandenburg anzutreten. Der Koordinierungsrat hatte Wollenberger nach Brandenburg verschoben, weil dort — nach übereinstimmender Auffassung aller Beteiligten — eine Spitzenkandidatin des UFV nicht durchsetzbar sei.

Die Thüringer jedenfalls signalisierten dem Koordinierungsrat am Montag „unnachgiebige Härte“. Auch in Thüringen sei nämlich eine Spitzenkandidatin des UFV „nicht durchsetzbar“, erklärte der Politische Geschäftsführer der Grünen, Thomas Winkler, in Erfurt. Den Schwarzen Peter haben jetzt die Landesverbände der am Bündnis beteiligten Gruppierungen in Brandenburg. Falls auch die Brandenburger „hart“ bleiben, wird in keinem Bundesland auf dem Boden der ehemaligen DDR eine Kandidatin aus dem UFV zu den Bundestagswahlen antreten können. Ob der UFV unter diesen Umständen noch bereit ist, weiter der Wahlvereinigung Grüne/ Bündnis 90 anzugehören, war gestern noch unklar. Nach dem Vorschlag des Koordinierungsrates würde in Brandenburg — nachdem klar ist, daß Vera Wollenberger in Thüringen kandidiert — ein Vertreter von DJ auf den Spitzenplatz vorrücken. Doch das, so Thomas Winkler, sei auch wieder ungerecht, weil dann die kleine Gruppierung DJ mit zwei Spitzenkandidaten (Brandenburg und Sachsen) in den Wahlkampf ziehen und in den Bundestag einziehen würde.