Gespaltene Konjunktur

■ Die pessimistischen Prognosen der fünf Weisen KOMMENTARE

Prognosen zählen nicht gerade zu den Stärken der Wissenschaft von der Ökonomie. Die von den einschlägigen Forschungsinstitutionen turnusmäßig vorgenommenen Voraussagen zum wirtschaftlichen Wachstum, der Inflationsentwicklung und den Arbeitslosenzahlen haben nahezu immer die tatsächliche Entwicklung entweder unter- oder überzeichnet. Insofern könnte man — wie Minister Haussmann — den in dem Herbstgutachten der fünf westdeutschen Wirtschaftsforschungsinstituten vorausgesagten Rückgang der „westdeutschen“ Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes von etwa 4 Prozent im laufenden Jahr auf drei Prozent im Jahr 1991 als Resultat eines Wachstumspessimismus abtun. Tatsächlich geht es nicht um noch hinter dem Komma konkrete und stimmige Ziffern. Was — nicht nur in Wahlzeiten — interessiert, sind die ökonomischen Strukturentwicklungen des neuen Deutschland. Und hier lassen sich — trotz des ganzen Einigungssonnenscheins — die dunklen Wolken nicht wegreden. Zwar erweisen sich die zig Milliarden Ausgaben der deutschen Einheit als Mega-Keynesianismus, der alle früheren gewerkschaftlichen Forderungen nach staatlichen Ausgabenprogrammen zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung in den Schatten stellt. Aber die Wachstumseffekte fallen ausschließlich im Westen der Republik an, wo die bereits im laufenden Jahr eingefahrenen Anschlußprofite die Einkommensverteilung in eine neue Schieflage gebracht haben. Während in Ostdeutschland die Übergangskrise noch weit von ihrem Tiefpunkt entfernt ist, verzeichnet der Westen einen Boom, der gegenwärtig international ohne Beispiel ist. Daß „gespaltene Konjunktur“ allerdings schnell politisch-soziale Spaltungen nach sich ziehen kann, werden die Bonner Politiker noch genauso zu spüren bekommen wie die Gewerkschaften, deren traditionell einheitliche sektorale Lohnpolitik nicht mehr ohne weiteres beizubehalten sein wird.

Daß dieser Wachstumsschub zur rechten Zeit gekommen ist, wissen auch die Prognostiker zu würdigen. Schließlich treiben die USA, der Wachstumsmotor der Weltwirtschft, während der achtziger Jahre, mit großer Zielstrebigkeit auf eine Rezession zu, die den Zuwachs der Weltexporte weiter reduzieren wird. Kommt aber der bundesdeutsche Export, forciert noch durch den rapiden Wertverfall des US-Dollar, unter Absatzdruck, dann wird sich auch das Tempo der deutschen ökonomischen Integration abflachen. Die konservativ- liberale Philosophie, die deutsche Einheit aus den Zuwächsen des Sozialprodukts und über die Kreditmärkte zu finanzieren, könnte sich bei rückläufiger Wirtschaftsdynamik und steigenden Zinsen auf den internationalen Märkten schnell als obsolet erweisen. Kurt Hübner