Hoffen, daß sich Geschichte nicht wiederholt

■ Im Libanon halten die Auseinandersetzungen an

Berlin (taz) — Auch Dany Chamoun, der am Sonntag von noch Unbekannten erschossene christliche Politiker, galt einmal als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des libanesischen Staatspräsidenten. Der Anschlag erinnert an die Ermordung Tonie Franghiyes, eines christlichen Spitzenpolitikers aus Libanons Norden, im Jahr 1978. Ihn und seine Familie ließ der spätere Staatspräsident Gemayel meucheln. Machtkampf tobte im Lager der maronitischen Christen. Doch für die Libanesen kann man nur hoffen, das sich Geschichte nicht wiederholt. Denn 1978 wurde eines der blutigsten der nunmehr fünfzehn Bürgerkriegsjahre. Es kam damals zu fürchterlichen Kämpfen zwischen den Ost-Beiruter Christenclans und der syrischen Armee. Erst nach wiederholtem Eingreifen der Israelis mußten die Syrer ihre Finger von Ost-Beirut und der machthabenden maronitischen Minderheit lassen.

Syrische Soldaten in der ganzen Hauptstadt

Seit gerade zehn Tagen kontrollieren nun syrische Truppen Ost-Beirut. Die Syrer waren von Präsident Hrawi gerufen worden, endlich dem Rebellengeneral Michel Aoun den Garaus zu machen. Michel Aoun galt als das gröbste Hindernis, den „Plan von Taif“ umzusetzen.

Das im Herbst des Jahres 1989 in der saudischen Stadt Taif unter der Schirmherrschaft der Arabischen Liga ausgehandelte Friedensabkommen für Libanon löste den „Nationalpakt“ von 1943 ab. Darin war die Machtverteilung zwischen den größten Religionsgemeinschaften des Landes zugunsten der Maroniten festgeschrieben worden. Das Parlament soll nun zu gleichen Teilen von Christen und Moslems beschickt werden. Der Staatspräsident ist noch immer ein maronitischer Christ, doch wurde die Macht des Amtes gedrosselt. Dem sunnitischen Ministerpräsidenten werden indessen weitere Kompetenzen auferlegt. Immerhin wird dieser Plan den ethnografischen Gegebenheiten des Landes etwas gerechter. Doch bleibt abzusehen, daß sich auf Dauer wenigstens Libanons Schiiten ungerecht behandelt fühlen müssen, wenn man weiterhin beim konfessionellen System bleibt.

Steht der Friede ins Land?

Bleibt festzuhalten, daß nun die Vorherrschaft der christlichen Minderheit als beendet angesehen werden kann. Der Libanon steht am Beginn einer neuen Ära.

Als schon am Tag der Unterwerfung General Aouns Einheiten der libanesischen Armee begannen, die Demarkationslinie zwischen dem von Christen bewohnten Ost-Beirut und dem hauptsächlich von Moslems bewohnten Westen der Stadt abzureißen, da jubelten begeisterte Kommentatoren, als kämen nun Tage auf Beirut zu wie im vergangenen Jahr auf Berlin. Weit gefehlt. Die acht Kilometer lange „grüne Linie“ macht, verglichen mit der Berliner Mauer, einen weit weniger martialischen Eindruck. Zwar gibt es auch hier Stacheldraht und vermauerte Fenster, es gibt Erdwälle und Schützengräben.Doch tobte über die „grüne Linie“ kein kalter Krieg. Tonnen von Artilleriegeschossen, Raketen und Kugeln wechselten die Seiten und löschten im Lauf der Jahre Tausende von Menschenleben aus, verwundeten und verletzten Hunderttausende. Der Schmerz sitzt tief und damit der Haß. Es sprudelten also weder Schampus noch Tränen der Wiedersehensfreude, als die Bulldozer ans Werk gingen.

In Ost-Beirut herrschen Angst und Terror. Denn es kamen nicht nur die gefürchteten Syrer. Mit ihnen zogen die moslemischen Einheiten der libanesischen Armee über die „grüne Linie“. Und im Schatten der syrischen Panzer kehrten auch rivalisierende christliche Milizen nach Ost- Beirut zurück, die vormals im Machtkampf gegen die dominierenden „Forces Libanaises“ unterlegen waren, beispielsweise die Gruppierung um Elie Hobeika, der sich 1982 bei den Massakern in den Palästinenser-Lagern Sabra und Chatila seinen erschreckenden Ruf erwarb.

Und schon Mitte vergangener Woche wußte man in Ost-Beirut, daß alte Rechnungen beglichen werden. Hunderte von Männern seien entführt worden, hieß es. Dann fand man in Ost-Beirut um die hundert Leichen von Gefolgsleuten Michel Aouns. Folterwunden, Würgemale, Kopfschüsse. Frankreich, das sich traditionell als Schutzmacht der libanesischen Christen versteht und das General Aoun vor der Rache seiner Landsleute zu schützen versprochen hatte, forderte ein Treffen des UN- Sicherheitsrates zu den Ereignissen. Die Pariser Politiker hätten wissen sollen, welchem Schicksal sie die Maroniten überlassen.

Pax Syriana

Die altbekannten Reden des syrischen Staatschefs von der historischen Verbundenheit Libanons und Syriens erscheinen in neuem Licht. Assad kontrolliert mit vierzigtausend Soldaten zwei Drittel libanesischen Territoriums. Seine Ansprüche untermauert der Syrer mit präkolonialen Zuständen. In Syrien wie auch im Irak herrscht jedoch eine Baath-Partei, deren Ideologie sich als „panarabischer Sozialismus“ übersetzen läßt. Folter, illegale Verhaftungen, öffentliche Hinrichtungen gehören hier genauso zum Alltag wie in Irak. Und auch Hafis al-Assad hatte sein Halabja: Weihnachten 1981 bombte die nationale Luftwaffe die Kleinstadt Homs in Grund und Boden. Mit welchen Methoden die syrischen Truppen in Libanon vorgehen, müßte auch in Paris bekannt geworden sein. Man muß annehmen, daß Syrien grünes Licht von sowohl der französischen als auch der US- Regierung erhielt, in Ost-Beirut einzumarschieren, als Damaskus seine Bereitschaft signalisierte, sich in die Einheitsfront gegen Irak zu stellen.

Eine Nagelprobe

Eine entscheidende Etappe liegt nun vor der Ordnungsmacht: die Entwaffnung der Milizen. In den Slums von Süd-Beirut herrschen noch immer die Milizionäre der Schiiten: die von Syrien abhängende „Amal“ und die proiranische „Hizb'Allah“. In Ost-Beirut walten die „Forces Libanaises“, deren Chef, Samir Geagea, nebenbei führende Kraft beim eingangs erwähnten Anschlag auf den Frangiyeh-Clan gewesen sein soll. Im Südlibanon verfügt weiterhin die PLO über eine bis zu den Zähnen bewaffnete Hochburg bei Saida, noch weiter südlich sind es noch einmal die schiitischen Fundamentalisten.

Letztendlich bleibt mit Spannung die Reaktion Israels abzuwarten, auf dessen „Sicherheitszone“, einen besetzten Grenzstreifen im äußersten Südlibanon, sich syrische Truppen weiter zubewegt haben. Petra Groll