Trines Angriff auf das Antidoping-Establishment

■ Zu Unrecht des Dopings verdächtigte Speerwerferin verklagt schludriges Untersuchungslabor PRESS-SCHLAG

Im Sommer letzten Jahres war sie für zwei Jahre gesperrt worden, die norwegische Speerwerferin Trine Solberg, bis dahin Lieblingskind der ganzen Sportnation, nachdem zwei bei den Europacupfinals vorgenommene Dopingproben positiv gewesen waren. Ein halbes Jahr später wurde sie vom Leichtathletikweltverband ganz offiziell wieder rehabilitiert: Im analysierenden Labor in Utrecht waren offensichtlich haarsträubende Fehler vorgekommen, Fehler, denen die von ihrer Unschuld überzeugte Trine Solberg mit Hilfe eines Anwalts und kostspieliger Ermittlungen auf die Spur gekommen war. Bei der „verbotenen Substanz“, die im Urin Solbergs nachgewiesen worden war, hatte es sich um ein Hormon gehandelt, das in jedem weiblichen Körper vorkommt. Hätten Sie damals gewußt, so die Dopingtester, daß es sich um die Proben einer Frau handelte, wäre nie ein Vorwurf erhoben worden.

Das letzte Kapitel im „Dopingfall“ Trine Solberg war damit aber noch nicht geschrieben. Die wieder zum Sportidol reingewaschene Trine erklärte jetzt ihre Entschlossenheit, dem bislang beispiellosen Fall einen ebenso beispiellosen Rechtsstreit folgen zu lassen: Einen Prozeß gegen das Labor, dessen Untersuchungsergebnis ihr fast die sportliche Karriere und den persönlichen Ruf gekostet hätte.

Sie will ersetzt bekommen, was ihr in den Monaten des schlimmen Verdachts an Start- und Sponsorengeldern durch die Lappen gegangen war, was sie an Kosten aufwenden mußte, um sich zu rehabilitieren. Eine Summe, die ihr Anwalt auf fast 300.000 DM schätzt. Nicht so sehr ums Geld gehe es ihr, beteuert sie, sondern ums Prinzip: gegen das ganze internationale Antidoping-Establishment.

Fast 60.000 DM hat sie schon von ihrem nationalen Leichtathletikverband erhalten. Für eingezogenen Trainingsbeitrag, gestoppte Stipendien, Anwaltskosten. Gelder auch des schlechten Gewissens eines Verbandes, der sie ohne weitere Fragen zu stellen nach Bekanntwerden des Dopingvorwurfs wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen. Und — das schlechte Gewissen dauert an — der Verband will sie jetzt auch bei ihrem Verfahren gegen das Testlaboratorium vollumfänglich unterstützen. Gegen den Willen des Leichtathletikweltverbandes, der schon fürchtet, bei einem positiven Ausgang für Trine bald ohne testwillige Dopinglabors dazustehen.

Ein paar solche Prozesse und nicht nur wir, sondern sicher auch andere Testlabors werden nicht mehr mitmachen“, warnte bereits Mats Garle, verantwortlicher Chemiker beim Dopingtestlabor des Stockholmer Huddinge- Krankenhauses. „Wir müßten sonst teure Versicherungen abschließen, eigene Juristen beauftragen — da hören wir lieber auf mit den Tests.“

Die Dopingtests für den Spitzensport sind heute auf weltweit zwanzig Laboratorien konzentriert, die das Gütesiegel des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bekommen haben. Über 52.000 Tests wurden hier im letzten Jahr durchgeführt, 1.206 waren positiv. Das Labor in Utrecht galt bis zum Fall Trine Solberg als zuverlässig. Kurz nach ihrer Rehabilitierung wurde es geschlossen: Die meisten auf Dopingtests spezialisierten ChemikerInnen hatten im Gefolge der durch den Trine-Fall geschaffenen Aufmerksamkeit gekündigt. Kompetentes Personal für weitere Dopinganalysen ließ sich seither nicht mehr finden. Reinhard Wolff