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Bismarck im öffentlichen Raum

■ Der Fürst in Wort und Standbild — umsonst und draußen

Der Helm sitzt schief, die Hosen sind zerknittert, der Uniformrock nachlässig geknöpft. Dem Bildhauer Reinhold Begas kommt wohl auf unkonventionelle Herrscherdarstellung des Eisernen Kanzlers, Sozialistenbekämpfers und Hundeliebhabers an: das Nationaldenkmal für den Fürsten Bismarck am Großen Stern im Schatten der Siegessäule. Zurückgesetzt zwischen den Militärheroen Moltke und Roon steht der letzte deutsche Held auf einem hohen Sockel und blickt sorgenvoll in Richtung Westen. Schon 1901, bei der Enthüllung des Monuments vor dem Reichstag, konnten die Berliner nicht viel damit anfangen, und auch heute steht es in einer toten Ecke der Stadt. Eichhörnchen huschen über die Monumentalfiguren zu Füßen des Reichsgründers. Dabei ist auch eine kräftige Frau, die als »Staatsgewalt« den »Aufruhr« in Form eines Panthers niederhält.

Bismarck nicht nur im Martin- Gropius-Bau, sondern auch im großstädtischen Freilichtmuseum — umsonst und draußen. In den westlichen Bezirken gibt es jede Menge Bismarck- und Fürst-Bismarck-Straßen. Bis auf die Charlottenburger Magistrale mit den Albert-Speer- Leuchten oder die Wannseer Version mit der preußischen Katastrophenzugabe Kleist-Grab sind sie relativ uninteressant. Auf dem Grunewalder Bismarckplatz erinnert auf einem Gedenkstein die »dankbare« Villenkolonie an den Fürsten. Der gründete also nicht nur Staaten, sondern auch schicke Vororte.

Der Kurfürstendamm heißt komischerweise nicht Bismarckstraße, obwohl das gerechtfertigt wäre. Bismarck schlug 1868 dem preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm I. in einem Brief vor, die staubige Straße zu einem Reitweg auszubauen. Später setzte dann der Kanzler durch, daß die Prachtstraße statt der projektierten 30 Meter 53 Meter breit wurde. Es sollte so etwas wie die Pariser Champs-Elysées dabei herauskommen, die immerhin fast doppelt so breit war. Wie auch immer: West-Berlin hat seine vielbeschworene Metropolenmeile einem märkischen Gutsbesitzer zu verdanken, der von Großstädten eigentlich gar nicht viel hielt.

Der einzige Berliner Bezirk, der sich zu einer umfassenden Bismarck- Huldigung entschlossen hat, ist Steglitz. Unweit des lärmenden Nord- Süd-Autobahnteilstücks ergeben die Straßenschilder eine fast komplette Bismarck-Biographie. Da gibt es die Schönhauser Straße, die an den Geburtsort in der Nähe von Stendal erinnert, die nach dem Mädchennamen von Bismarcks Mutter Wilhelmine benannte Menckenstraße, die an das väterliche Gut in Pommern erinnert. Lebens- und Karrierestufen werden in der Göttinger Straße (Studienplatz), Kissinger Straße (bevorzugter Kurort) und Friedrichsruher Straße (Alterssitz) reminisziert. Die Sachsenwaldstraße und der Lauenburger Platz dürfen hier nicht fehlen.

Gedacht wird auch seiner publizistischen Mitstreiter Helmut von Poschinger und Lothar Bucher. Letzterer war ein bekehrter Sozialist und arbeitete an den Bismarck-Memoiren Gedanken und Erinnerungen mit. Inmitten des Kultviertels liegt die auf düsteres Mittelalter getrimmte St.-Lukas-Kirche. Ein Pfarrer ist sich der bedeutenden Umgebung bewußt: »Die Kinder nehmen das in der dritten Klasse im Heimatkundeunterricht durch«, versichert er. Am Rande der Heldenbiographie liegt auch eine H.-Kohl-Straße. Nein, nicht Helmut, sondern Horst Kohl. Aber der Mantel der Geschichte ist weit und groß, und viele finden unter ihm Platz. Christian Böhmer

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