Im Schatten der Golf-Krise

■ Geo-Energiepolitik ist mehr als die Aufrechterhaltung freien Ressourcenzugangs für die „freie Welt“ DOKUMENTATION

Vom 29. Oktober bis zum 7. November werden in Genf die Weichen für die zukünftige Politik zum Schutz der Erdatmosphäre gestellt. Dann tritt unter dem Dach der Vereinten Nationen die zweite Weltklimakonferenz zusammen, auf der über Maßnahmen zur Begrenzung klimaschädigender Spurengase gesprochen werden soll. Maßstab für die Beratungen wird der unlängst fertiggestellte Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change, einer hochkarätig besetzten Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen, sein. Dort heiß es klipp und klar: „Wenn die atmosphärischen Konzentrationen der einzelnen Spurengase auf derzeitigem Niveau stabilisiert werden sollen (wenn also der Temperaturanstieg auf ein möglicherweise noch „handhabbares“ Maß begrenzt werden soll, R.L.), dann ist es erforderlich,

—die Kolendioxidemissionen um mindestens 60 Prozent,

—die FCKW-Emissionen um etwa 80 Prozent,

—die Methan-Emissionen um 15 bis 20 Prozent und

—die Distickstoffoxid-Emissionen um 70 bis 80 Prozent

gegenüber heutigem Niveau zu reduzieren.“

Daß die „neue Einigkeit“, die die Staatengemeinschaft bei der Verurteilung von Saddam Husseins Kuwait-Invasion an den Tag gelegt hat, auch das Gesicht dieser so bedeutenden UN-Konferenz prägen wird, darf allerdings mit Fug und Recht bezweifelt werden. In der Arena der globalen Ökologiepolitik nämlich dominiert noch immer „altes Denken“. Zwar wird der menschgemachte Treibhauseffekt als Problem kaum mehr geleugnet, doch ist die Bereitschaft, etwas gegen ihn zu unternehmen, bei den meisten Staaten nur schwach oder gar nicht ausgeprägt. Allenfalls einzelne EG- und EFTA-Staaten bilden hier eine Ausnahme. Einer internationalen Konvention, die verbindliche Reduktionsziele für Kohlendioxid und die anderen Spurengase festgelegt, stehen vor allem die Vereinigten Staaten, Japan und die Sowjetunion skeptisch gegenüber.

Daß diese Staaten in ihrer Zurückhaltung nicht nur von den „Giganten“ China, Indien und Brasilien bestärkt werden, die ihre ambitiösen Industrialisierungspläne durch Klimaschutzpolitik gefährdet sehen, sondern auch von den potenten OPEC-Ländern, läßt für die Zukunft wenig Gutes hoffen. Es zeichnet sich eine „unheilige Allianz“ ab, die — wenn auch aus höchst unterschiedlichen Motiven — ein wirksames Vorankommen in der internationalen Klimaschutzpolitik nachhaltig behindern könnte.

Dazu kommt, daß der Golf-Konflikt das Klimaproblem auf der Welt- Agenda nach hinten gedrängt hat. Möglicherweise wirft er die globale Ökologiepolitik gar um Jahre zurück. Unabhängig davon nämlich, ob Saddams Griff nach Kuwaits Ölquellen nun die Wahnsinnstat eines von (West und Ost) hochgerüsteten Raubritters oder Spätfolge willkürlicher kolonialer Grenzziehung ist, ob ein Ergebnis himmelschreiender Wohlstandsunterschiede oder ewigwährender innerarabischer Feindschaften, bleibt für die internationale Politik mindestens dreierlei festzuhalten:

Erstens: Die Hoffnung, daß im Weltmaßstab massive Mittelumschichtungen zu Lasten der Rüstungshaushalte und zu Gunsten der Ökologie stattfinden werden, ist empfindlich gedämpft. Die Militärs frohlocken; ihre Existenängste sind zerstoben. Von „ökologischer Friedensdividende“ vorerst keine Spur.

Zweitens: Geo-Energiepolitik wird wieder vor allem als Aufrechterhaltung des freien Ressourcenzugangs für die „freie Welt“ und nicht als verantwortungsvolle und gemeinschaftliche Nutzung begrenzter Naturschätze verstanden. Die erst wenige Tage alte Meldung, die Ölreserven Saudi-Arabiens seien weit größer als erwartet, ordnet sich bruchlos in diese neue/alte Sicht ein. Wieder ist die Rede vom Wachstum der Grenzen, nicht von den Grenzen des Wachstums. Daß die Grenze am Himmel — konkret: die Assimilationskapazität der Atmosphäre für Spurengase — wesentlich enger gezogen sein dürfte als die Grenze auf Erden — sprich: die Dauer der Verfügbarkeit fossiler Energieträger —, gerät dabei aus dem Blick.

Drittens: Der Lösung der Golf- Krise kommt große Bedeutung für die Regelung zukünftiger Konflikte zu. Trotz ihrer regionalen Spezifik nämlich wird sie von vielen Staaten der Dritten Welt als Verschiebung der Konfliktachse von West-Ost- in Nord-Süd-Richtung wahrgenommen. Wenn der Pfad gemeinschaftlichen Vorgehens gegen den Aggressor unter dem Dach der UN von einzelnen Industriestaaten verlassen wird, käme das auch einer faktischen Absage an abgestimmtes Handeln zum Schutz der Atmosphäre gleich. Kooperation und Koordination werden sich als strukturbildende Prinzipien im Weltmaßstab nur durchsetzen, wenn sie konsequent durchgehalten werden. Und zwar von allen!

Die Genfer Weltklimakonferenz wird sich aller Voraussicht nach kaum mit diesen, für ein Vorankommen im internationalen Maßstab so wesentlichen Rahmenbedingungen befassen. Statt dessen wird es wohl vor allem um die noch offenen Forschungsfragen, die möglichen sozio- ökonomischen Folgen der Erwärmung und die Ausgestaltung eines internationalen Vertragswerks zum Schutz der Erdatmosphäre gehen. Gerade der letzte Punkt wirf eine Fülle bis dato ungeklärter Fragen auf. Soll eine Klimakonvention — so sie denn überhaupt zustandekommt — lediglich Empfehlungscharakter haben oder bindende Verpflichtungen festschreiben? Soll ein „enges“ Konzept gewählt werden, das sich nur auf die einzelnen Spurengase konzentriert, oder ein „weites“ Konzept, das im Resultat auf ein Atmosphärenrecht („Law of the Atmosphere“) hinausliefe? Wie soll die Lastenteilung konkret aussehen und welche „Schlüssel“ sollen dafür herangezogen werden? Wie könnte ein Klimafonds ausgestaltet werden und aus welchen Quellen wäre er zu speisen? Von der Antwort auf diese Frage wird es abhängen, wie sie die Diskussion während der nächsten zwei Jahre bis zur großen Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Brasilien gestalten wird.

Den westeuropäischen Staaten kommt bei der Genfer Konferenz eine Schlüsselstellung zu. Die Mehrzahl der Entwicklungsländer nämlich steht noch unentschieden zwischen der sowjetisch-amerikanischen „Tunix“-Fraktion und denjenigen, die das Problem in seiner Dimension begriffen haben. Für sie allerdings ist es absolut zentral, daß Maßnahmen zum Schutz der Erdatmosphäre aufs engste mit ihren legitimen Entwicklungsinteressen verzahnt werden. Ein bloßer Reduktionismus, der nicht nach der sozialen Bedingtheit von Treibhausgas- Emissionen fragt, wird deshalb mit ihnen nicht zu machen sein. Wenn ein wirksames Gegengewicht gegenüber den Zögern geschaffen werden soll, dann kann das unter den gegenwärtigen Bedingungen nur eine Koalition aus Entwicklungsländern und westeuropäichen Staaten sein. Mit anderen Worten: Es ist Aufgabe der EG- und EFTA-Staaten eine Vorreiterrolle zu übernehmen und innerhalb der eigenen Grenzen endlich mit dem ökologischen Umbau der Sektoren Energie, Verkehr, Chemie und Landwirtschaft zu beginnen. Es ist aber auch ihre Aufgabe, sich die Anliegen der Entwicklungsländer zu eigen zu machen, ohne die es auf Dauer keinen Schutz der Atmosphäre geben kann: keinen Schutz der Tropenwälder, keine Reduzierung klimarelevanter Spurengase, keine tragfähige Entwicklung im Weltmaßstab.

Europas koloniale Schulden sind längst nicht abgetragen. Die ökologische Misere in Afrika, Lateinamerika und Asien steht hierfür als Symbol. Ein Europa, das Ausgleich mit den Völkern des Südens sucht, könnte sich Störenfrieden vom Schlage eines Saddam Hussein überdies glaubwürdiger in den Weg stellen als ein Europa, das vor allem auf sein eigenes Wohlergehen bedacht ist. Die globale Verantwortung unseres nunmehr befriedeten Kontinents ist gewachsen. In Genf wird sich zeigen, ob sie wahrgenommen wird. Reinhard Loske

Der Autor ist Mitarbeiter am Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsordnung (IÖW). Der hier abgedruckte Beitrag ist der jüngsten Ausgabe der in Frankfurt erscheinenden 'Ökologischen Briefe‘ entnommen.