„Ewiggestrige nicht aufrütteln“

■ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mannheim, Stern, zu Friedhofsschändungen INTERVIEW

taz: Herr Stern, in den letzten beiden Jahren häufen sich in Baden-Würtemberg die Verwüstungen jüdischer Friedhöfe. Wie sollte darauf reagiert werden?

Georges Stern: Diese Frage wurde mir in den letzten Monaten einige Male gestellt, auch als Vorsitzender des Oberrates der Israeliten Badens. Ich habe mir in einigen Fällen vor Ort einen Eindruck verschafft. Das müssen Verrückte sein, Leute aus der rechten Ecke des politischen Spektrums. Die letzten Festnahmen von einigen Skinheads deuten darauf hin. Wir als Jüdische Gemeinde werden gar nichts dagegen tun, das ist nicht unsere Aufgabe, sondern die der Landesregierung, der Behörden und der Politik allgemein. Schutzmaßnahmen gibt es nicht, da diese Friedhöfe meist in sich geschlossen sind, zudem oft außerhalb der Orte liegen. Hier können Sie nicht 24 Stunden am Tag jemanden hinstellen, der aufpaßt.

Prof. Jäckel, Mitautor von 'Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‘, hat gesagt, „hysterische Überreaktionen förderten das Spiel der Provokateure“.

Man sollte in der Tat nicht überreagieren, um die letzten Ewiggestrigen noch wachzurütteln, seien sie nun jung oder alt. Es gibt eine allgemeine Tendenz, bei solchen Gedenktagen, wie auch dem der Deportation nach Gurs, die einzelnen Daten in den Vordergrund zu rücken. Man sieht das auch am Beispiel des 9. November oder der „Woche der Brüderlichkeit“. Ich wünsche mir mehr eine Kontinuität in der Aufarbeitung der Geschichte, die nicht unsere jüdische, sondern unsere gemeinsame deutsche Geschichte ist.

War Mannheim in den letzten Monaten von Zerstörungen oder Schändungnen betroffen?

Solche Zerstörungen wie in Südbaden oder Schändungen wie in Carpentras haben wir hier noch nicht beklagen müssen. Ich glaube, daß wir als Jüdische Gemeinde dafür mitverantwortlich sind. Wir haben uns nach der Eröffnung unserer Synagoge 1987 der gesamten Mannheimer Bevölkerug geöffnet. Wir ermöglichen hier Veranstaltungen für alle BürgerInnen und vergeben unsere Räume an sehr unterschiedliche InteressentInnen.

Was erwarten Sie von der Ausstellung der Sammlung Elsbeth Kasser?

Wir müssen die Kinder und Jugendlichen in unsere gemeinsame Geschichte einbinden, nicht um irgendeine falsche Betroffenheit zu wecken, nein, die Geschichte soll bereits im Kindergarten und in der Grundschule, darüberhinaus in den Haupt-, Real- und Oberschulen bearbeitet und aufgearbeitet werden. Diese Ausstellung steht in der Kontinuität der „Anne Frank Ausstellung“ von vor zwei Jahren, als in 20 Tagen 15.000 BesucherInnen gezählt wurden und wir mit den Führungen von Schulklassen nicht mehr nachkamen. Das wünsche ich mir auch für diese Ausstellung. Interview: Günter Rohrbacher-List