Abends regiert das Gesetz der Straße

Leipziger Klubs sind zunehmend Ziel rechter Übergriffe/ Betroffene organisieren Selbstschutz  ■ Aus Leipzig Stefan Schwarz

Es war in den letzten Tagen der DDR, als sich die Leipziger Initiative für ein alternatives Kommunikationszentrum, schlicht „KommRum“ benannt, ins Klubhaus „Jörgen Schmidtchen“ eingemietet hatte, um ein Wochenende lang ihre sonst unbehausten Potenzen auszutesten. „Die letzte verzweifelte Hoffnung vom Prenzlauer Berg“ hatte gerade ihre musikalische Darbietung vollendet, als fünf junge Männer, unscheinbare Gestalten, in den Saal kamen. Die Menge hatte gerade den Heimweg angetreten, die „KommRumerInnen“ waren beim Aufräumen, als noch mal zehn Jugendliche hereinkamen. Dann ging alles schnell. Pflastersteine flogen durch den Raum, Bücherstände umgeworfen, Lampen eingeworfen. Draußen wurden Fahrräder demoliert, Autoscheiben eingeschlagen und Jagd gemacht auf restliche Heimgänger. Einer von ihnen mußte mit einer erheblichen Kopfverletzung ins Krankenhaus. Die Szene wiederholte sich am nächsten Tag. Wieder „Scouts“ in Jeansjacken, die die Lage erkunden, wieder ein Überfall. Obwohl die Besucher die Eingangstür zuschlagen können, um das Eindringen abzuwehren, bleiben zwei Gäste draußen und werden gnadenlos zusammengeschlagen. Die Polizei, vorsichtshalber schon beim Eintreffen des „Spähtrupps“ verständigt, kommt eine halbe Stunde nach Ende des Überfalls. Die Veranstalter sahen sich gezwungen, die Fete am Sonntag abzusagen. Offenbar konnte niemand für die Sicherheit der Besucher sorgen. Von seiten der Behörden hieß es, die Umwandlung des Jugendklubhauses „Jörgen Schmidtchen“ in ein Frauenkulturzentrum stachele wohl die anwohnenden Halbwüchsigen auf.

Aber diese Überfälle waren keine Ausnahmen. Am selben Wochenende ist das Kinder- und Jugendzentrum „Villa“ Ziel von Überfällen. Etwa 25 Skins versuchen, das zentral gelegene Gebäude zu stürmen, werden aber unter Verwendung von zwei Pulverfeuerlöschern zurückgeschlagen. In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober wird die „Villa“ von etwa 150 Jugendlichen mit Wurfgeschossen bombardiert. Der größte Teil der Fensterscheiben geht zu Bruch. Auch die „Connewitzer Alternative e.V.“, ein Wohnprojekt, erhält Besuch. Einem Brandanschlag auf die Galerie „StöckArt“ folgen ein paar Tage später Brandbomben ins Infobüro des Vereins.

Roland Hoberg von der Connewitzer Alternative sieht das Projekt „unter ständiger Gefahr“. Auch wenn für die Wiedervereinigungsnacht von der Polizei ein „endgültiger Vernichtungsschlag“ gegen die Initiative von rechten Kräften angekündigt wurde und Polizisten deshalb die Vereinigungsfeier der Alternativen sichern mußten, sieht auch Hoberg sich eher von der Jugend des Wohngebietes beargwöhnt und verfolgt, die auf diese Weise ihre Ressentiments gegen die neugegründeten Initiativen auslebt. Die Brandstifter, weiß Hoberg, wohnen „gleich um die Ecke“. „Wenn die einen getrunken haben, machen sie los.“ Eine Täterbeschreibung liegt bei der Polizei in der Schublade. Selbst das Fahrzeug, aus dem die Brandbomben geworfen wurde, konnte unweit der „Alternative“ ausfindig gemacht werden. Festnahmen blieben „mangels Beweisen“ aus.

Die Polizei gibt sich überfordert, ganze sieben Streifenwagen kurven nachts durch Leipzigs Straßen. Und die haben mit Raubüberfällen, die in Leipzig eine vorrangige Erwerbsart zu werden scheinen, alle Hände voll zu tun. Festnahmen gab es erstmals bei der Demolierung der „Villa“. Der Überfall hatte sich diesmal für die Polizei hinreichend lange angekündigt, hatte doch der Zug von 150 Jugendlichen zuvor allerlei Volk mit Holzknüppeln verprügelt, Steine geworfen und mit Gaspistolen um sich geschossen. Zwei von 150 mußten mit der Polizei gehen.

Die Kulturzentren haben sich mittlerweile auf Initiative der am häufigsten in Mitleidenschaft gezogenen „Villa“ zusammengesetzt, um eine Art Sicherheitskonzept zu erarbeiten. Man gedenkt einen Telefondienst einzurichten, der vor Überfällen warnt. Es hatte sich nämlich gezeigt, daß es durchaus „Kriegszüge“ gibt, bei denen in kurzer Folge verschiedene Klubs überfallen werden.

Außerdem wird, wenn auch unter verschiedenen Bedenken, die Aufstellung einer Selbstschutzgruppe debattiert, die anstelle der Polizei die Abwehr rechtsradikaler und anders motivierter Angriffe übernehmen soll.