: Kein Gefühl für den Freihandel
Japan bei den Gatt-Verhandlungen: Alles dreht sich um den Reis/ Liberalismus eignet sich nicht als Ideologie/ Den Streit mit der Dritten Welt überläßt Tokio den USA und der EG, der mit den beiden anderen Großmächten wird bilateral abgemacht ■ Aus Tokio Georg Blume
Undurchsichtig und verschlungen sind die Wege des Weltmarktes. Aber reichen sie auch bis Kawazu? Kawazu ist ein kleines Bergdorf auf Nippons legendenumwobener Halbinsel Izu. Ein Ort im Herzen Japans, den einst der Nobelpreisträger Yasunari Kawabata für die Nation entdeckte, als er von der „farbig üppigen Pracht des Herbstes auf den Bergen, in den einsamen Wäldern und den tiefen Quellentälern“ um Kawazu schwärmte.
Mitte Oktober sind in Kawazu die Straßen bunt zum Erntefest geschmückt. Reis wird es geben und Reiskuchen und Reiswein. Dazu werden Sommerorangen gereicht, eine Spezialität aus Kawazu. In Kawazu lernt man schnell mehr über den bevorstehenden Ausgang der Uruguay-Runde, als das mit dem Studium der Genfer Aktenberge möglich erscheint. Wer nämlich einmal wie einst Kawabata die lang hingezogene Hauptstraße des Bergdorfes abwandert, der entdeckt bald eine große Tafel des örtlichen Bauernverbandes. Dort steht all das geschrieben, in den 15 „Grundsätzen von Kawazu“, was jeden Bürger des Dorfes zum Gegner des weltweiten Freihandels macht: „Wir wollen keine Frau zur Ehefrau nehmen, die nicht unser Fleisch von Kawazu essen will.“ Oder: „Wir wollen keinen Fisch ohne Meerrettich aus Kawazu essen.“ Oder: „Zum Nachtisch gibt es für uns nur Sommerorangen aus Kawazu.“
Säuberlich sind die Gebote von Kawazu aufgemalt worden und stehen schon seit 15 Jahren an der Wand neben dem Reisladen des Dorfes. Achtmal teurer ist das Korn hier als auf dem Weltmarkt. Doch das stört niemanden in Kawazu. „Das war schon immer so“, sagen die Dörfler und zeigen auf die Tafel. Am Abend feiern sie ihre Ernte und ihren Reis.
Natürlich feiern längst nicht mehr alle mit. In den Städten hat sich das Ritual des Erntedankfestes längst verloren. Den großen Unternehmerverbänden und den führenden Managern der Konzerne ist es auf der internationalen Bühne längst zu einem unangenehmen Anhängsel geworden, daß ihr Land den Reisimport immer noch grundsätzlich verbietet. „Wenn Japan auf seiner Verhandlungsposition in der Reisfrage besteht, kann es sich bei der Uruguay- Runde sehr schnell in vollkommener Isolation befinden, falls die USA und die EG letztlich doch einen Kompromiß finden“, warnt etwa die führende japanische Wirtschaftszeitung 'Nihon Keizar‘. Nur die japanische Regierung weigert sich bislang, das Importverbot für Reis in Frage zu stellen.
Wie immer vermeidet Japan im internen Streit die ideologische Diskussion. Der Interessenkonflikt zwischen Bauern und Großunternehmern wird namentlich kaum ausgetragen. Auch die Politiker sind zurückhaltend geworden. Noch bei den Parlamentswahlen im Februar versprachen führende Regierungspolitiker der Liberal-Demokratischen- Partei (LDP) ihrem in weiten Teilen des Landes bäuerlichen Wählervolk, daß Tokio „kein einziges fremdes Reiskorn“ importieren wolle. Inzwischen haben führende LDP-Mitglieder eingeräumt, daß Reisimporte in Zukunft unvermeidlich wären. Das alles ist freilich so im Vagen, daß sich eine neue japanische Position für die Vehandlungen in Genf kaum ausmachen läßt.
Erst in dieser Woche gab die Regierung einen enttäuschenden Verhandlungsvorschlag bekannt, der lediglich bei den sogenannten tropischen Produkten wie Bananen, Kokosnüssen etc. eine Reduzierung der japanischen Zölle um 30 Prozent vorsieht. Gerade auf diesem Gebiet haben die USA und die EG bereits weiterreichende Zugeständnisse gegenüber den exportierenden Südländern vollzogen.
Theorie und Praxis der Entschlossenheit
Die Gesetze des Weltmarkts haben jahrzehntelang die Regierungen in Washington geschrieben. Doch vom Wachstumsboom der achtziger Jahre profitierten vor allem Japan und die südostasiatischen Staaten. Als führende Kreditgebernation setzte sich Nippon an die Spitze der Weltwirtschaft und nimmt nun mehr tragenden Einfluß auf den Welthandel der Zukunft. Den exportorientierten Schwellenländern Südostasien sagen japanische Institute noch heute ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich sieben Prozent bis ins Jahr 2000 voraus, weit vor den drei Prozent der Europäischen Gemeinschaft und den zweieinhalb der USA.
Voraussetzung für die Fortsetzung dieses weltweit bewunderten „Pazifikbooms“ ist freilich die Aufrechterhaltung eines Freihandelssystems, das den verschreckten Europäern und Amerikanern verwehrt, neue Barrieren für die Produkte aus Fernost zu errichten. Das läßt glauben, daß gerade Japan Interesse an einem raschen und erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde in Genf zu hegen habe.
Schon erheben sich in Tokio die Stimmen der Wirtschaftsexperten, die Japan anmahmen, endlich schlichtend in den US-europäischen Streit um das für den Dezember fällige Welthandelsabkommen einzugreifen. „Die Uruguay-Runde befindet sich im völligen Durcheinander. Nippon muß deshalb die dem Land zugewachsene Führungsrolle in der Weltwirtschaft einlösen und nun auch bei der Bewahrung des Freihandels eine führende Rolle übernehmen“, fordert etwa der Ökonom Yoshikazu Kanou, Leiter des Nationalen Instituts für Volkswirtschaft. Seine Devise, die immer häufiger erklingt: „Die japanische Regierung muß den Markt jetzt unilateral öffnen und damit die Verhandlungen neu in Gang setzen.“
Aber — die Überlegung ist nur eine theoretische. Denn wie anders sieht die Wirklichkeit aus! Aus den weltwirtschaftlich bedeutendsten Fragen hält sich Japan heraus: Textilien werden im Land kaum noch hergestellt; deswegen ist Tokio von der Debatte um Einfuhrbeschränkungen unberührt. Wo im Gatt Freiheit für die Dienstleistungskonzerne des Nordens in den Ländern des Südens diskutiert wird, überläßt Japan schweigend die Verhandlungsführung den USA und der EG und wird damit zum dezenten gewinnenden Teilhaber an den Ergebnissen. Die Debatten um Dumping als Handelshemmnis werden weitgehend auf formaler Ebene geführt — etwa darüber, was Dumping überhaupt ist. In relevantem Maße handelswirksam werden die Resultate in absehbarer Zeit nicht sein. Und meisterhaft haben es die Ministerien verstanden, die Probleme mit den beiden anderen Industrieblöcken aus dem Gatt herauszunehmen: So etwa wird der Streit um die Auto-Importe aus Japan in die EG in kleinem Kreise, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, geführt.
Symbolischer Streit um Körner
Yazuhiko Yuise, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Chiba, ist überzeugt, daß sein Land die Zeit verschläft. „Beim Gatt geht es um die grundsätzliche Frage der Beziehungen Japans zur Außenwelt. Und wie immer, seit der Öffnung zum Westen im vergangenen Jahrhundert, taucht im Konfliktfall mit der Außenwelt bei uns das Argument oder besser: das Gefühl auf, Japan dürfe sich den anderen Ländern nicht unterordnen und müsse seinen eigenen Weg gehen. Dieses Gefühl regiert in Tokio“, meint Yuise. „Wir schaffen es nicht, mit der Frage von Nahrungsmittelimporten kühl und sachlich umzugehen.“
Den Professor in Ehren — in Washington, wo die Reisfarmer auf Fortschritte drängen, wird er mit solch komplizierten Erklärungen kaum Gehör finden. In den Beziehungen zu den USA aber liegen die Risiken der japanischen Unberechenbarkeit in der Uruguay-Runde. Erst im August kam US-Landwirtschaftsminister Clayton Yeutter nach Tokio gereist, um seinem japanischen Amtskollegen eigenhändig ein Reispaket mit der Aufschrift „U.S. Rice“ zu überreichen.
Während sich nämlich die japanischen Interessensverbände in der Reisfrage geräuschlos rangeln, haben die Amerikaner sie bereits zur grundsätzlichen Anfrage an die Aufrichtigkeit Nippons hochstilisiert, so daß sich Massaoki Kojima, führender Manager des Marubeni-Handelshauses und jahrelang Vorsitzender des Agrarausschusses des größten japanischen Unternehmerverbandes „Keidanren“, die Haare rauft: „Die Amerikaner lieben den symbolischen Streit“, meint Kojima. „Sowohl in den USA wie in Japan werden wir nur noch über den Reis streiten. Dabei ist die Frage wirtschaftlich von untergeordneter Bedeutung.“
Der Westen möchte Japan auf seine Freihandelsidee verpflichten, während diese in Japan der Form und des Profits wegen zwar akzeptiert ist, aber zur Regelung interner Angelgenheiten immer noch als gänzlich ungeeignet betrachtet wird. Zwischen Bauern und Unternehmern wird die Regierung in Tokio einen Kompromiß aushandeln, nicht aber den ideologischen Entscheid herbeiführen, der grünes Licht auch für die Einfuhr anderer Handelsgüter bedeuten könnte. Die Welt ringsherum wird also nicht klüger werden.
„Ganz weit vor mir war der hell leuchtende Tunnelausgang zu erkennen, der nach Süd-Izu führte“, schreibt Kawabata auf seiner Wanderung nach Kawazu. Bevor Licht am Ende des Gatt-Verhandlungstunnels erkennbar ist, muß Japan noch lange im dunkeln tappen. Wenn aber das Ende des Tunnels nach Kawazu führt, wird sich das Land allein und unverstanden vorkommen. Kawabata immerhin liebte die Einsamkeit.
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