Mit der Bossel auf die Daube

■ Die 9. deutschen Bosselmeisterschaften für Behinderte

Im Eingangsbereich der Huchtinger Sporthalle in der Delfter Straße duftete es am Wochenende verlockend nach selbstgemachtem Kuchen. Doch schon die Dialektvielfalt der Frauen und Männer in Sportkleidung, die sich da an Butterkuchen und Fruchttorte labten, deutete an, daß es sich nicht um eine Leistungsschau des Bremer BäckerInnen-Handwerks handelte. In Huchting fanden die9.Deutschen Meisterschaften der Behinderten im Bosseln statt.

Doch halt, wer kugelrollende Langstreckenwanderer in der Halle nach ostfriesischem Vorbild erwartete, hatte schlicht ein „Doppel-S“ mit einem „ß“ verwechselt. Das Bosseln ist eine enge Verwandte des Eisstockschießens, nur auf dem Trockenen eben. Von der Tribüne sieht alles ganz einfach aus. Über ein 10 bis 12 Meter langes, aber nur 2 Meter breites Spielfeld werden von jedem Team jeweils 3 Scheiben mit einem geschwungenem Holgriff geworfen. Dann schliddert die viereinhalb Kilo schwere Bossel mit ihrer Bürstenunterseite einem rotem Holzwürfel entgegen. Wer der Daube, so heißt dieser Klotz, am nächsten kommt, hat das Spiel gewonnen. Hannelore Tempelmann, Vorsitzende des Bremer Vereins für Behindertensports kann bestätigen, daß dazu eine Menge Übung gehört. Erst seit zwei, beziehungsweise vier Jahren betreiben Frauen und Männer in Bremen diese Sportart, ganze zwölf Aktive sind es zusammen. Turnerleiter Josef Schäfer aus Hessen kennt da ganz andere Dimensionen. In Nordrhein-Westfalen gibt es allein über 200 Mann-und Frauschaften, die Konkurrenz ist entsprechend groß.

Schäfer weist darauf hin, daß Nicht-Behinderte bei Behinderten oft an RollstuhlfahrerInnen denken. Dabei macht diese Gruppe im Deutschen Behinderten Sportbund nur etwa ein Viertel aus, beim Bosseln in Huchting war überhaupt keinE RollstuhlfahrerIn vertreten.

Der Bewegungsablauf beim Bosseln, der dem beim Kegeln ähnelt, kommt den Beingeschädigten besonders entgegen. Ein ausholender Armschwung, eine knappe Kniebeugung, und schon gleitet die Bossel auf ihr Ziel zu.

Vor den Wettkampf setzte das Reglement die Schadensfestsetzung der TeilnehmerInnen. Maximal 16 Schadenspunkte darf ein Team ansammeln, je schwerer die Behinderung, desto weniger Punkte werden berechnet. Aus Bremer Sicht waren die Meisterschaften eher ein hochrangiges Trainingslager, wie auch der Sportwart des Bremer Behindertenverbandes, Horst Reich, bekannte. Die Trainingshalle der BosselerInnen war monatelang gesperrt, die Hansestadt ist ohnehin noch Bossel-Provinz. Den SiegerInnen-Teams aus Stadtlohn, NRW (Frauen) und Lauenau, Niedersachsen, (Männer) konnten sie nicht Paroli bieten.

Die ersten gesamt-deutschen Meisterschaften wird es frühestens im nächsten Jahr geben. In den fünf-einhalb Ländern gibt es zwar einen Behindertensport- Verband (in Mecklenburg-Vorpommern sind zum Beispiel 900 Menschen organisiert), doch Bosseln ist dort noch ein Fremdwort. Jürgen Francke