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Der Freitod als letzter Ausweg

■ Suizid einer schwerkranken jungen Frau aus Eritrea wirft die Frage nach der Versorgung von minder- jährigen Flüchtlingen in Berlin auf/ Zwei weitere Mädchen sollen durch Behörden getrennt werden

Berlin. Die eritreische Gemeinde in Berlin trägt Trauer. Kürzlich wurde die 17jährige Eden Teklehaimanot beerdigt, die sich am 12. Oktober in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses Moabit erhängt hatte. Drei Monate lag die junge Frau auf der geschlossenen Abteilung. Nach Auskunft der Ärzte wurde sie rund um die Uhr beobachtet, dennoch gelang es ihr, in den Freitod zu gehen. Chefarzt Dr. Jochen Albrecht findet ihren Tod »traurig und problematisch«, aber ob man Eden Teklehaimanot hätte helfen können sei ungewiß, zu stark sei ihre Todessehnsucht gewesen. Ein ganz normaler Suizid also?

Eden Teklehaimanot war auf der Flucht. Vor vier Monaten hatte sie Eritrea verlassen und sich auf den Weg nach Schweden gemacht. Der Zolldienst in Trelleborg verweigerte ihr die Einreise, setzte sie stattdessen in den Zug nach Berlin, weil hier ein Cousin von ihr wohnt. Gleich nach ihrer Ankunft verlor sie den Bezug zur Realität, bekam einen psychotischen Schub. »Sie dachte, D-Züge würden auf sie zurasen«, sagt Daniel H., ihr Cousin. Auf einem U-Bahnhof versuchte sie, sich unter den Zug zu werfen. Der Cousin hielt sie zurück. Eden T. wurde in die Klinik eingeliefert. Eine Therapie, die auch traumatische Fluchterlebnisse miteinbezieht, ist an Berliner Krankenhäusern nicht bekannt. Albrecht, der Chefarzt an der Moabiter Klinik: »Der wesentliche Punkt ist, daß sie wahrscheinlich schon schwerkrank in Deutschland ankam.«

Die Eritreerin ist eine von rund 900 minderjährigen Flüchtlingen, die unbegleitet nach Berlin gekommen sind. Hauptsächlich in drei Heimen werden sie von der Senatsjugendverwaltung einquartiert. Allerdings scheitere die pädagogische und psyschiche Betreuung an der unzureichenden Finanzierung, beklagt der Flüchtlingsrat Berlin. So bekommen die Heime nur 2/3 des normalen Jugendpflegesatzes. Nach den Regelungen des Haager Minderjährigen- Schutzabkommens haben minderjährige Flüchtlinge den gleichen Rechtsanspruch auf Erziehungshilfen wie deutsche Jugendliche. Bereits im Oktober 1988 hat das Abgeordnetenhaus beschlossen, minderjährige Flüchtlinge zunächst als »Kinder und Jugendliche und erst dann als Asylbewerber« zu behandeln. Die Realität sieht allerdings anders aus. Noch immer kommen minderjährige Flüchtlinge ins »Verteilungsverfahren«, werden von heute auf morgen anderen Bundesländern zugeteilt.

Durch bürokratische Weisung getrennt zu werden fürchten Ainom Aster und Measho. Die beiden liefen zu Fuß durch die Wüste in den Sudan, bevor Verwandte sie nach Berlin schicken konnten. Gemeinsam kamen sie in ein Wohnheim, bis Measho depressiv wurde. Die 15jährige Measho ist auch im Krankenhaus auf die Freundin angewiesen. Die Ärzte beziehen sie in die Therapie ein. Ainom Aster soll solange bei der Freundin in der Klinik wohnen können, bis es ihr besser geht. Aber am 31. Oktober soll Ainom Aster »verteilt« werden, nach Westdeutschland. Annette Rogalla

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