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Metamorphose zum Elefantenmenschen

68. Deutsche Meisterschaft der Amateurboxer in Hamburg: „Die Perversion, den Gegner ins Gesicht zu schlagen“/ Fünf der zwölf Titel gingen an Ex-DDR-Boxer  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Hamburg (taz) — Zwei Männer im Ring, jeder um die zwei Zentner schwer, also Superschwergewichtler: Der eine ein Bayer, untersetzt aber schnell, im Freistaat als K.o.- König bekannt, Jürgen Mloch heißt er, ist Koch und 27 Jahre alt. Der andere ein Niedersachse, Deutscher Amateurserienmeister mit Dolph- Lundgren-Charme, everybody's darling Andreas Schnieders (23). Im 6,10*6,10-Meter-Quadrat boxen sie in der Wandsbeker Sporthalle zu Hamburg ihren Finalkampf. Unter den zwölf Meisterschaftsgewichtsklassen ist das Superschwergewicht (über 91 Kilo) der Gipfel an männlicher Muskelmassendemonstration: Die kompaktesten Körper treiben die gewaltigsten Faustschläge hervor.

Jürgen Mloch, der im Halbfinale einen schniedersgleichen Hünen mit einer kurzen Rechten ausknockte, hüpft im Endkampf vergeblich um seinen zwei Köpfe größeren Gegner. Schnieders Fäuste zerdetschen dem Bayern in der ersten Runde das linke, in der zweiten das rechte Auge. Mit zugeschwollenen Sehschlitzen, wie die beginnende Verwandlung zum Elefantenmenschen, wird Mloch zum Ringarzt geführt. „Es tut mir leid“, sagt leise der Ringrichter, als er den Kampf anschließend abbricht.

Die Grimasse des Lädierten bedeutet ein liebes Lächeln. „Das Perverse am Boxen ist“, sagt der Hamburger Mittelgewichtler Volker Kiparski, „daß man gewollt dem Gegner ins Gesicht schlägt, daß man den Gegner auf dem Boden sehen will.“

Das wollten sie alle, die 90 Teilnehmer der 68. Deutschen Amateurboxmeisterschaften. Der Kampf ist brutal, die im Kopfschutz eingeklemmten Gesichter sind grimmig, schnell gezeichnet von Anstrengung, Qual und Schmerzen, manchmal blutverschmiert, rotz- und schweißtriefend. Die Szenerie wirkt haßerfüllt. Aber nach dem Schlußgong fallen sich die kleinen Bantamkämpfer ebenso wie die großen Schwergewichtler in die Arme.

Boxer pflegen einen höflichen Umgang und halten den Kameradschaftsgedanken hoch: Dein Gegner, dein Freund. Besonders diejenigen, die in den ostdeutschen Boxschulen getrimmt worden sind, bei Traktor Schwerin oder Vorwärts Frankfurt/Oder, denken so. Zwanzig von den Ex-DDRler traten in Wandsbek an, nämlich die, die bereits von westdeutschen Klubs angeworben wurden oder sich ihnen bereits vor der DDR-Wende angeschlossen haben. Sechs Wochen vor der Fusion beider deutscher Boxverbände sind die ostdeutschen Klubs bei den Titelkämpfen noch nicht zugelassen.

Die DDR gehörte neben der UdSSR, Kuba und den USA zu den weltbesten Meisterschmieden, nach bekanntem System: Talentsichtung unter Acht- und Neunjährigen, Einladung zum Training, Einberufung in Sportinternate, jährlich Normüberprüfungen und Auslese der Besten, Entsendung zu internationalen Kämpfen. Die einstmaligen Quasiprofis zieren mit ihrer technischen und taktischen Brillanz nun die finanzkräftigsten der Westclubs: Unvermeidlich Bayer Leverkusen, die Faustkampfhochburg Ahlen in Westfalen und auch den DBK Sparta Flensburg. Letzterer Verein ist ein Miniaturexempel der Amateurboxszene, eine Verflechtung von Erfolgssehnsucht und ökonomischer Potenz: Der Vereinsboß, Gastronom, hat fünf Jungs aus Schwerin teils mit Familienanhang in Klub und Gastronomie untergebracht. Spartas Späher trieben sich in Aus-, Über-, und Asylantenunterkünften herum und sammelten Athleten. Die sportliche Leistungsfähigkeit macht den Einstieg ins westdeutsche Leben leichter.

Bei Sparta sind alle zufrieden. Fürs Gruppenfoto in Wandsbek strahlten sie um die Wette: Zwei Meistertitel (an den Polen Dariusz Kosedowski und den Ex-Schweriner Enrico Berger) und zwei dritte Plätze wurden später daheim in Flensburg begossen. Insgesamt gingen fünf der zwölf Titel an Ex-DDRler.

Die Niveauanhebung durch die „Blutauffrischung aus dem Osten“ ('deutsche presse-agentur‘) blieb auch dem expertengespickten Publikum nicht verborgen. Wenngleich man sich lieber über Mängel mokierte. So großartig seien die Importe auch wieder nicht, vor allem konditionell: Wohl schon von westlichem Wohlstand verdorben und faul geworden, hieß es. Man mutmaßt, der Doppelbelastung von Beruf und Training nebenher seien die Newcomer nicht immer gewachsen. Selbst sehen die das anders und wundern sich über die lasche Einstellung der Westler zum Sport. Urteil eines Ost- Trainers: „Sind alle zu verwöhnt“, also mangelnde Disziplin, mäßige Leistung — und Angst.

Denn Angst darf ein Boxer nicht haben. Alle behaupten, sie kennen diese Gemütsbewegung nicht. Angst nimmt auch das Publikum übel, am übelsten die kaschierte Angst, wenn ein Boxer Nichtantreten mit einer Verletzung begründet. Norbert Nieroba beispielsweise, der im Mittelgewicht dem Berliner Serienmeister Sven Ottke den Titel kampflos überließ. Der elende Feigling.

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