Der Fall Doucé wird zur Mordaffäre

Leichnam des entführten Pastors identifiziert/ Zwei Geheimpolizisten unter Tatverdacht/ Alibi zusammengebrochen  ■ Aus Paris A. Smoltczyk

Zwei mutmaßliche Polizisten, jede Menge mutmaßlicher Verdächtigungen — und eine sehr reale Leiche im Wald von Rambouillet: aus dem Entführungsfall des Pastors Doucé (taz, 20.9.1990) ist eine Mordaffäre geworden, wenn nicht gar eine Staatsaffäre. Denn unter Hauptverdacht stehen zwei Inspektoren der Pariser Geheimpolizei.

Nach einer ersten Untersuchung steht fest, daß es sich bei dem am letzten Dienstag von einem Pilzsammler gefundenen Leichnam um Joseph Doucé handelt, den prominenten Leiter des Pariser Beratungs- und Selbsthilfezentrums für sexuelle Minderheiten „Centre Christ Libérateur“.

Doucé war am 19. Juli von zwei Männern abgeholt worden, die sich ihm mit Dienstausweisen der Polizei vorgestellt hatten. Bereits seit Juni war die „Groupe des enquetes réservés“ (GER) — eine umfunktionierte Eliteeinheit der politischen Polizei, die bislang in der Terrorismusbekämpfung eingesetzt gewesen war — mit der Observierung des Zentrums betraut, um angeblichen Hinweisen auf einen Pädophilenring nachzugehen.

Ebenso steht nach bisherigem Ermittlungsstand fest, daß die GER-Inspektoren Jean-Marc Dufourg und Pascal Passamonti bei ihrer Mission nicht nur die üblichen geheimpolizeilichen Methoden angewandt (Telefonabhörungen ohne richterliche Kontrolle, nächtliche Einschüchterungen von Mitarbeitern des Zentrums), sondern ihre vorgesetzten Stellen zudem wiederholt belogen haben. So behaupteten die beiden, einen V-Mann in Doucés Gesprächskreis eingeschleust zu haben. Doch der zum Spitzel auserkorene Pierre D. hatte dankend abgelehnt — trotz einiger Inspektoren-Schüsse in seine Wohnungstür.

Ebenso erklärten Dufourg und Passamonti, sie seien zum Tatzeitpunkt mit einem V-Mann namens „Phobos“ aus dem Dealermilieu in der Banlieue zusammen gewesen. Doch Phobos kann sich nicht erinnern, die beiden Inspektoren an diesem Abend gesehen zu haben. Das Alibi der beiden kann sich jetzt nur noch auf die Aussage ihres Vorgesetzten Gilles Azéma stützen — aber gerade gegen den ist in Frankreich bereits ein Disziplinarverfahren wegen anderer Falschaussagen eröffnet worden. Zu ihrem Verteidiger haben sich die Inspektoren keinen geringeren als Jacques Vergès ausgesucht. Jenen Advokaten von Kriegsverbrecher Klaus Barbie, der traditionell keine Gelegenheit ausläßt, den französischen Staat auf die Anklagebank zu bringen.

Vergès' Version des Vorgangs: Dufourg und Passamonti hätten von höchster Stelle den Auftrag erhalten, mittels des Pastors Doucé ein Dossier über die angebliche Pädophilie zweier (von Dufourg öffentlich mit Namen genannten) hoher Politiker zu erstellen, um auf diese Druck ausüben zu können. Vergès behauptet nun, daß Doucé von einem zweiten Kommando beseitigt werden sollte, um die Politiker vor Enthüllungen zu schützen... Er stellt damit eine Hypothese auf, der von allen verantwortlichen Stellen heftig widersprochen wird.

Die Opposition in der Nationalversammlung hat den Sozialisten vorgeworfen, eine parlamentarische Untersuchungskommission zur Doucé-Affäre verhindern zu wollen. Innenminister Pierre Joxe wird sich in der Haushaltsdebatte diese Woche dazu äußern. Der Generalsekretär der neogaullistischen RPR Alain Juppé sprach von Zuständen, die „einer Bananenrepublik würdig“ seien. Er muß wissen, wovon er spricht: schließlich hat — wie jetzt bekannt geworden ist — die Pariser politische Polizei im Januar 1987 einen Einbruch in den Büroräumen von SOS- Racisme verübt, um zwei große Plastiksäcke voll Akten davonzutragen. Damals war der Innenminister ein Gaullist.