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»Der angestrebte Vertrag war politisch nicht gewollt«

■ Magistratsunterhändler Martini zu den Verhandlungen mit den Hausbesetzern/ Besetzer sollen sich an Eigentümer wenden/ Auch wenn die Häuser ohne Magistratsgeld noch schneller verfallen — ohne Verträge gibt es kein Geld INTERVIEW

taz: Herr Martini, am 8. Oktober hat der Magistrat die Verhandlungen mit Vertretern der besetzten Häusern einseitig abgebrochen. Warum?

Martini: Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß es sich bei dem von den Besetzern angestrebten Papier um eine politische Willenserklärung handelt. Es wäre ja kein Vorvertrag zu einem Mietvertrag geworden, sondern so eine Art vertraglicher Überbau. Und wenn man sich das mal vom praktischen Nutzen her betrachtet, bleibt da nicht viel übrig. Sie können nämlich keine Ansprüche daraus herleiten.

Hätte es nicht den guten Willen des Magistrats gezeigt, dieses Papier zu unterzeichnen?

Das ist eine Frage des politischen Anspruchs. Eigentlich genügt doch der Inhalt des Magistratsbeschlusses [vom 24. Juli über die Anwendung der sogenannten Berliner Linie bei Hausbesetzungen; d.Red.]. Da steht ja drin, daß der Magistrat friedliche Lösungen anstrebt. Der vom Besetzerrat angestrebte Vertrag ist also ein entbehrlicher Luxus.

Aber warum nicht den guten Willen noch einmal bekräftigen?

Das kann man machen, wenn man es politisch will. Es war aber politisch nicht gewollt. Das ist keine schroffe Ablehnung, sondern es resultiert aus der Erkenntnis, daß das politische Problem der Hausbesetzungen sich am einzelnen Fall abarbeitet.

Warum dann überhaupt die Verhandlungen?

Da kamen Erinnerungen auf an die Zeit der Hausbesetzungen in West-Berlin — sogar der Senat hat sich damit bis in seine höchsten Kreise beschäftigt. Nachdem man die Sache aber mal durchleuchtet hatte, kam man zu der Erkenntnis, daß das hier politisch nicht so bedeutsam ist wie seinerzeit im Westen. Auch hat die Stadt weiß Gott wichtigere Probleme — so zum Beispiel die Beseitigung des enormen Leerstands durch Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen.

Finden Sie nicht, daß die Besetzer, die monatelang von Pontius zu Pilatus gelaufen sind, sich jetzt verschaukelt fühlen müssen?

Nein, eigentlich nicht. Schließlich kann ein Vertrag nur mit den Eigentümer der Häuser abgeschlossen werden. Das haben wir nun klargestellt.

Sie hatten einen Vergleich zu den Kreuzberger Hausbesetzungen gezogen. Sehen Sie Ähnlichkeiten zur heutigen Ostberliner Szene?

Die Hausbesetzungen seinerzeit in Kreuzberg hatten einen anderen politischen Stellenwert. Da war mehr Power hinter. So sind ja viele Ideen, die im Zuge dieser Bewegung entstanden sind — Selbsthilfe und ähnliches — heute gang und gäbe. Da gab es auch einen ganz anderen intellektuellen Hintergrund. Das ist hier alles nicht zu verzeichnen. Dafür existiert im Gegensatz zu West- Berlin ein großes Defizit an Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber den Besetzern. Die alternativen Lebensformen, die den Leuten hier vorgesetzt werden, stoßen zum großen Teil auf Ablehnung.

Befürchten Sie nach Abbruch der Verhandlungen eine Radikalisierung der Szene?

Das kann ich nicht einschätzen. An sich glaube ich es aber nicht. Es wird natürlich immer einen kleinen Teil von Besetzern geben, die eine Räumung zum Anlaß nehmen, Krawall zu machen.

Der Magistrat hatte vor einiger Zeit 20 Millionen Mark für die Winterfestmachung von besetzten Häusern bereitgestellt. Bedingung: erst Verträge, dann das Geld. Nun verhandelt der Magistrat aber nicht mehr — was nun?

Das Geld war nicht ausschließlich für besetzte Häuser gedacht, sondern generell gegen den Wohnungsleerstand. Es ist nach wie vor vorhanden, und es wird fließen, wenn die Besetzer mit den zuständigen Instanzen ihre Verträge abgeschlossen haben sowie die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind: die Einschätzung der Kosten, Substanzgutachten und so weiter.

Bis dahin ist der Winter vorüber. Gibt es denn keinen Fonds für die Winterfestmachung?

Besondere Mittel für die Winterfestmachung gibt es nicht. Es gibt einen Leerstandsbeseitigungstopf, also jene 20 Millionen. Und die stehen erst nach der Legalisierung der Häuser zur Verfügung. Für besetzte Häuser gibt es keine Steuergelder.

Bekanntlich verfallen bewohnte Häuser längst nicht so schnell wie unbewohnte. Somit verhindern die Besetzer einen weiteren Verfall. Warum also läßt der Magistrat die 20 Millionen auf seinem Konto schmoren?

Weil es von der Politik nicht zu vertreten ist, öffentliche Gelder Hausbesetzern — und Hausbesetzungen sind nun mal ein rechtswidriger Akt — zur Verfügung zu stellen. Das ist eine Frage der politischen Moral.

Glauben Sie nicht, daß der Magistrat vor allem moralisch verpflichtet ist, Wohnraum zu erhalten? Sollten da nicht die anderen Fragen in den Hintergrund treten?

Nein. Es ist politisch nicht darstellbar, einen rechtswidrigen Zustand in der Weise zu begünstigen, daß hier öffentliche Mittel fließen, die Besetzern zugute kommen.

Wie fühlen sie sich bei der Feststellung, daß zur Zeit die Hausbesetzer mehr zum Erhalt von Wohnraum beitragen als der Magistrat?

Das ist natürlich ein blumiges Wort. Die Rechtslage ist aber nun einmal so, daß für ein besetztes Haus keine müde Mark gezahlt wird. So kann man nur hoffen, daß es sehr bald zu einer Reihe von Vertragsabschlüssen kommt. Ich bin da eigentlich optimistisch. Interview: Olaf Kampmann

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