Ein Schwarzer wird „von Tag zu Tag weißer“

Wer gegen den Rechtsaußen und Saubermann Jesse Helms in North Carolina bei den Kongreßwahlen antritt, hat es nicht leicht — besonders, wenn er auch noch schwarz ist/ Sein Herausforderer Harvey Gantt hat Chancen, die Wahl zu gewinnen  ■ Aus Washington Silvia Sanides

„Wahlkämpfe“, sinnierte Jesse Helms kürzlich, „sind hart. Meine Wahlkämpfe waren immer wie Wurzelkanalbehandlungen.“ Das diesjährige Rennen um den Senatssitz in Washington bereitet dem langjährigen Senator aus dem Bundesstaat Northcarolina ganz besonders viel Zahnschmerzen. Seit 18 Jahren sitzt der 69jährige Helms für die Republikaner im Kongreß. Seine Stellung als Repräsentant des alten, rassistischen Südens und Rechtsaußen seiner Partei haben ihn zu einem der bekanntesten amerikanischen Politiker gemacht. Und nun droht dem als unschlagbar geltenden Senator Gefahr aus unvermuteter Richtung. Nicht ein gewiefter Politiker, sondern ein relativ unbekannter Architekt, der es lediglich zweimal zum Bürgermeisteramt der Stadt Charlotte (Northcarolina) gebracht hat, macht Anstalten, den Senator aus dem Sattel zu heben. Harvey Gantt heißt der couragierte Herausforderer, der in Northcarolina eigentlich zu den „Verlierern“ gehören müßte. 1988 verlor er die Wiederwahl zum Bürgermeisteramt und — seine Hautfarbe ist schwarz.

Fünfzig zu fünfzig, so die letzten Umfragen, steht das Rennen zwischen den beiden Kandidaten. Helms' Schwierigkeiten liegen bestimmt nicht am fehlenden Profil. Gerade während der letzten Monate hat sich der Senator lautstark für seine Anliegen eingesetzt. Er wetterte gegen die öffentliche Subvention von Künstlern, deren Werke wegen sexueller Inhalte kritisiert wurden. Seine Parteikollegen und Präsident Bush ließ er links liegen, als er gegen die Ausweitung der Behindertenförderung und einen UNO-Vertrag zur Abschaffung der Folter stimmte. Er glänzte während der Rede Nelson Mandelas vor dem Kongreß durch Abwesenheit. Unter seinen alten Anhängern, den Nachfolgern der Tabakpflanzerherrlichkeit und den Arbeitern der alteingesessenen Möbel- und Textilindustrie in den Bergen Northcarolinas, werden ihm diese medienwirksamen Glanzleistungen kaum geschadet haben. Im Gegenteil: Die Marlboro-Herstellerin Philip-Morris greift Helms seit vielen Jahren finanziell unter die Arme.

Doch Northcarolina ist heute im Wandel begriffen. Eine expandierende High-Tech-Industrie sorgt für städtisches Wachstum und zieht fortschrittlichere, besser ausgebildete Bürger aus anderen Bundesstaaten an. Die kühle, intelligente Ausstrahlung des 47jährigen Harvey Gantt wirkt positiv auf die neuen Städter. Mehr noch seine Politik: Gantt spricht sich für solch „neumodische“ Dinge wie Abtreibungsfreiheit, bessere Ausbildung und umfassenden Umweltschutz aus. Viele weiße Neulinge sind deshalb bereit, Gantts Hautfarbe zu übersehen. Auch die Stimmen von Northcarolinas Schwarzen, die 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, gehen laut Umfrage zu 95 Prozent an Gantt. Beide Kandidaten haben sich bisher bemüht, die Frage der Hautfarbe nicht zu einem Politikum zu machen. Ähnlich wie in den Gouverneurswahlen im nördlich gelegenen Nachbarbundesstaat Virginia vor einem Jahr, die der schwarze Kandidat Doug Wilder gewann, fürchtet man die Rückwirkungen des Rassismus. Doch die Wende zum Bösen kann immer noch kommen. Ein in die Enge getriebener Jesse Helms ist zu allem fähig, nicht zuletzt zur Mobilisierung seines rassistischen Stimmviehs mit dem Hinweis, daß Schwarze nicht wählbar sind. Dann gerät der schwarze Kandidat gewiß ins Hintertreffen. Denn wenn in einem Rennen zwischen Schwarz und Weiß die Konkurrenten Kopf an Kopf liegen, dies haben bereits andere Wahlen bewiesen, gewinnt allemal die weiße Hautfarbe. Grund? Die Befragten verheimlichen ihren Rassismus zwar vor den Meinungsforschern, entscheiden sich am Wahltag dann doch für den weißen Kandidaten.

Das wird auch in Northcarolina nicht anders sein. Dies bewies kürzlich der Besitzer eines Tante-Emma- Ladens in einem abgelegenen Winkel des Staats. Er äußerte sich anerkennend zum Höhenflug Gantts: „Der Kandidat wird von Tag zu Tag weißer.“