„Saar und Pfalz nicht von Europa abkoppeln“

■ Interview mit dem Chef der Saarbrücker Staatskanzlei, Reinhold Kopp, über den Anschluß ans französische TGV-Netz INTERVIEW

Im Zuge der deutschen Vereinigung sind Rheinland-Pfalz und das Saarland weiter weg vom Zentrum der Republik gerückt. Nicht wenige Politiker beider Regionen fürchten, aus den Heimatländern Helmut Kohls und Oskar Lafontaines entstünden neue „Zonenrandgebiete“. Ihre Angst erhält neue Nahrung: wegen der Folgekosten der deutschen Einheit droht der von Bonn versprochene Anschluß von Saar und Pfalz an das französische Schnellbahnnetz „TGV-Est“ zu scheitern.

taz: Herr Kopp, Saar und Pfalz warten auf den Schnellzug TGV-Est aus Paris. Ist es denn sicher, daß er kommt?

Kopp: Fakt ist, daß sich Frankreich und die Bundesrepublik vor anderthalb Jahren auf dem 53. deutsch-französischen Gipfel geeinigt haben, ihre beiden Hochgeschwindigkeitsnetze auch über Saarbrücken und Mannheim zu führen. Es steht nun an, diese politische Entscheidung durch entsprechende Taten und Investitionen zu untermauern. Allerdings scheint sich die zugesagte Schnellbahnverbindung bei der Bundesregierung zu einer „unendlichen Geschichte“ zu entwickeln. Statt auf dem deutsch-französischen Gipfel in München vor wenigen Wochen einen Staatsvertrag mit Frankreich über die sogenannte POS-Linie (Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland) abzuschließen, ist die Entscheidung auf das Frühjahr 1991 verschoben worden. Dadurch geraten die Investitionen für den TGV/ICE über Kaiserslautern/ Saarbrücken zunehmend unter Konkurrenzdruck zu Projekten in Ostdeutschland.

Drohen nicht Investitionen für das marode ostdeutsche Verkehrsnetz die geplanten Investitionen für den TGV-Anschluß aufzufressen?

Es ist in der Tat noch nichts geschehen, was die Bundesbahn in die Lage versetzt, mit der raumbezogenen Planung zu beginnen. Auf ein entsprechendes Angebot des Saarlands, in einem vorgezogenen Raumordnungsverfahren Grundlagen für die weitere Planung zu schaffen, hat Bonn negativ reagiert. Ich bezweifle aber nicht, daß der Bundesverkehrsminister auf die Vorhaben in Ostdeutschland ein ganz besonders aufmerksames Auge hat.

Wann sollte der TGV kommen? Besteht nicht die Gefahr, daß das Vorhaben gänzlich scheitert, wenn nicht bald konkrete Pläne gefaßt werden?

Die Franzosen haben sich vorgenommen, Straßburg 1996 zu erreichen. In der Bundesrepublik wird es wohl nicht nur wegen des „unendlichen“ Entscheidungsprozesses in Bonn länger dauern. Wir haben eine andere Auffassung von Zentralismus und Bürgerbeteiligung als die Franzosen. Aber wir wollen nicht abgekoppelt werden vom europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz. Jede Verzögerung geht zu Lasten des notwendigen wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesses an der Saar und in der Westpfalz.

Und was wird der TGV-Est kosten?

Die Franzosen rechnen mit 22 Milliarden Franc (ca. sieben Milliarden D-Mark). Die Voranschläge für die deutsche Seite liegen zwischen 450 Millionen und drei Milliarden, je nachdem, wie gebaut wird. Wir schlagen eine Variante vor, die ungefähr zwei Milliarden Mark kosten würde.

Zwei Milliarden? Wie kommt es zu dem hohen Betrag?

Da ist eine weitgehende Untertunnelung im Bereich der Stadt Saarbücken vorgesehen, ein Teilneubau im östlichen Saarland und praktisch eine völlig neue Trasse ab Hochspeyer, direkt auf Ludwigshafen zu.

Und wie soll die Trasse durch den Pfälzer Wald verlaufen, der unter Naturschutz steht?

Durch den sogenannten Pfalztunnel von Hochspeyer bis Bad Dürkheim. Allein der Tunnel kostet um die 600 Millionen Mark.

Ein gewaltiger Eingriff in die Umwelt!

Der Tunnel soll ökologische Probleme vermeiden. Ohne ihn wäre das Projekt zwar viel billiger, aber dann fährt der Zug mitten durch die Weinberge.

Einige Bürgerinitiativen denken da anders. In der Pfalz werden bereits Unterschriften gegen das Großvorhaben gesammelt.

Es gibt heutzutage eine vielfach verständliche Sorge bei allen Großprojekten. Darauf reagiert man am besten, indem man alles öffentlich macht. Ich plädiere dafür, die Umweltverträglichkeit der TGV-Strecke nicht isoliert zu prüfen. Auch die Alternativen des sonstigen Verkehrs auf der Straße und in der Luft sollten berücksichtigt werden. Ich bin sicher, am Ende hat die Bahn die Nase vorn. Denn viele werden zwischen Frankfurt, Kaiserslautern, Saarbücken und Paris nicht mehr das Auto oder das Flugzeug benutzen, sondern den Hochgeschwindigkeitszug. Interview: Joachim Weidemann