Gerechtigkeit bei Wohnungsvergabe gefordert

■ Baustadträte fordern bessere Ausnutzung der Belegungsrechte im sozialen Wohnungsbau/ Bausenator Nagel sieht Heil im Neubau statt in der Belegungsfrage/ Es gibt keinen Wohnberechtigungsschein in Ost-Berlin ohne Einkommensnachweis

Berlin. Mehr Gerechtigkeit bei der Belegung des knappen Wohnraums forderten gestern die Baustadträte mehrerer Innenstadtbezirke in Ost und West zusammen mit dem Arbeitskreis Wohnungsnot. Der Senat solle die Belegungsrechte für den sozialen Wohnungsbau sehr viel stärker als bisher wahrnehmen. »Es ist rechtlich möglich, daß die Wohnungsämter alle frei werdenden Sozialwohnungen mit Mietern ihrer Wahl belegen, das wird in München praktiziert«, erklärte Schönebergs Baustadtrat Saager (SPD). In Ost- Berlin geschieht das, in West-Berlin jedoch nicht. Hier hat der Senat im Februar darauf verzichtet, diese Belegungsrechte wahrzunehmen.

Statt dessen wurde der Kooperationsvertrag mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, den der Vorgängersenat geschlossen hatte, erneuert. Der Vertrag sieht vor, daß die Gesellschaften jedes Jahr etwa 3.500 Wohnungen an Mieter mit sozialer Dringlichkeit vermieten. Weitere 350 Wohnungen dürfen die Wohnungsämter selbst als sogenannten Feuerwehrfonds belegen. Das sei bei weitem zuwenig, und bis jetzt hätten die Wohnungsbaugesellschaften nicht einmal diese 350 Wohnungen zur Verfügung gestellt, meinte der Sprecher des Arbeitskreises, Reiner Wild. Außerdem suchten sich die Wohnungsbaugesellschaften die Mieter nach ihrer Zahlungsfähigkeit aus. Besser wäre es jedoch, die Mieter zu bevorzugen, die am längsten auf die Wohnung gewartet haben.

In Berlin gibt es etwa 400.000 Sozialwohnungen, die alle mit öffentlichen Geldern gebaut worden sind. Davon gehört die eine Hälfte städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die andere Hälfte privaten Unternehmen. Selbst deren Wohnungen könnten die Wohnungsämter mit ihren Mietern belegen, sagte Wild. Bausenator Nagel lehnte diese Vorschläge rundweg ab. Das sei der Einstieg in die Wohnungszwangswirtschaft und in mehr Bürokratie, meinte Nagels Referent Mathias Zipser. Not sei nicht verteilbar, die bessere Lösung sei mehr Wohnungsbau. Daß gerade solche Bezirke diese Vorschläge machten, die sich am meisten gegen Wohnungsneubau sperrten, sei befremdend.

Der Arbeitskreis Wohnungsnot forderte weiter, daß auch alleinstehende oder kinderlose und verheiratete Obdachlose einen Wohnberechtigungsschein mit Dringlichkeit erhalten. Seit der Senat diese vor einem halben Jahr abschaffte, hat sich zwar die Statistik der Dringlichkeitsfälle sehr verbessert — nun sind nur noch 11.200 Westberliner als dringlich wohnungssuchend gemeldet —, für die Betroffenen sei dies aber eine Katastrophe. In West-Berlin gibt es schätzungsweise 12- bis 15.000 Obdachlose, in Ost-Berlin erwarte man eine deutliche Zunahme. Zipser erklärte, für »echte« Obdachlose werde man ab nächstes Jahr wieder einen Dringlichkeitsbescheid erteilen.

Die Stadträte der Bezirke Hohenschönhausen und Prenzlauer Berg, Baum und Klipp, wandten sich dagegen, daß Berliner — auch Westberliner — in Ost-Berlin unabhängig vom Einkommen einen Wohnberechtigungsschein erhalten. Dies geht auf einen alten Volkskammerbeschluß zurück. So würden sozial schwache Ostberliner verdrängt. esch