Lust in Grenzen

■ »Brennendes Geheimnis« von Robert Siodmak im Babylon Ost

Robert Siodmaks »Brennendes Geheimnis« aus dem Jahr 1933 ist ein Übergangsfilm: Er spielte im Herbst

an der schweizerisch-ita-

lienischen Grenze und war

Siodmaks letzte deutsche Produktion, bevor er vor den Nazis nach Paris floh.

Am Tage nach dem Brand des Reichstags«, schrieb Stefan Zweig, »ereignete es sich, daß vor den Kinoüberschriften und Plakaten ‘Brennendes Geheimnis‚ die Leute sich sammelten, einer den anderen zwinkernd anstoßend und lachend. Bald verstanden die Gestapo-Leute, warum man bei diesem Titel lachte. Und noch am selben Abend jagten auf Motorrädern Polizisten herum, die Vorstellungen wurden verboten, vom nächsten Tage an war der Titel meiner Novelle ‘Brennendes Geheimnis‚ aus allen Zeitungsankündigungen und von allen Plakatsäulen spurlos verschwunden.« Zweigs Geschichte handelt von triebhafter Lust, die noch nicht nazimäßig verklärt und bewältig wird wie später in Veit-Harlan-Filmen. Die Drehbuchbearbeitung von Brennendes Geheimnis allerdings und die eigentümliche Entrücktheit kündet von der präfaschistischen Stimmung, in der der Film entstanden ist.

Der zwölfjährige Edgar, dicklich und gescheitelt, verbringt mit seiner eleganten Mama (Hilde Wagner) die Herbstferien in einem schweizerischen Luxushotel. Die anderen Gäste — es ist Nachsaison — sind zahlungsunfähige Barone oder dümmliche Proletarier, die den Hotelaufenthalt im Preisausschreiben gewonnen haben. Die Atmosphäre muffiger Seniorenlangeweile ändert sich schlagartig, als ein Mercedes-Stern über die Leinwand gleitet, nah, lange und eindringlich. Der Stern ziert den Sportwagen des Rennfahrers von Haller (Willi Forst). Kaum im Speisesaal eingetroffen, entschließt sich von Haller, Edgars Mama zu verführen. Der Rennfahrer weiß dies professionell und routiniert durchzuführen. Dabei hilft ihm, ohne sich dessen bewußt zu sein, der kecke, autobegeisterte Sohn. Kurze Zeit später aber stellt Edgar ein echtes Handikap für die Affäre dar. Ödipal-rechtschaffen bestimmt er durch sein Tun das Ende der außerehelichen Liebesbeziehung, ebenso wie er sie eingangs ermöglicht hatte. Wieder zu Hause in Zürich verliert er, weil er den Vater betrügt, jedoch seine kindlich-aufrichtige Unschuld. Die Mutter feiert die Initiation ihres Sohnes in die Lügenwelt der Erwachsenenwelt mit einer großartigen Geste: Einladend verschleiert sie mit vielen raffinierten Vorhängen und Volants das Fenster von Edgars Schlafzimmer, bis es ganz, ganz dunkel darin ist.

Der Film wirkt theatralisch und vertraut seinen eigenen Bildern nicht. Bemerkenswert ist jedoch das Aufeinandertreffen von filmsprachlichen Elementen aus höchst unterschiedlichen Epochen. Zum einen die forschen Dialoge, in denen häufig »Donnerwetter«, »prima Kerl« und ähnliches gesagt wird. Dann wieder erinnern Studioaufnahmen in nächtlichen Märchenwäldern oder Szenen in unrealistisch-künstlichem Gebüsch an die Stummfilmzeit. In den Innenräumen kollidieren nackte, rundliche Nippesfiguren im Vordergrund mit asketischen Gardo-Gardinen im Hintergrund. Und obwohl kein Mangel an eindeutigem Text herrscht, müssen die Schauspielerinnen ihre Triebhaftigkeit mit schlechter Haltung und schlangenhaften Bewegungen geradezu expressionistisch zur Schau stellen. Das Disparate des Films vermittelt sich aber vor allem in seiner Moral, denn das Familienglück erbringt nichts weiter als einen schäbigen Vernunftsieg. Im dunklen Ende des Films arbeitet die unentdeckte Untreue unaufhaltsam weiter an der Subversion der Institution Ehe. Trotzdem nur empfehlenswert, wenn die filmhistorische Toleranzgrenze einigermaßen ausgeprägt ist.

Das Babylon Ost zeigt Brennendes Geheimnis in einer Reihe von Literaturverfilmungen nach Stoffen von Stefan Zweig und Arthur Schnitzler. Unter anderem sind zu sehen Liebelei von Max Ophüls und Fräulein Else von Paul Czinner. Dorothee Wenner

Brennendes Geheimnis läuft heute um 19 Uhr und am Sonntag, den 11.11. um 17 Uhr im Babylon Ost, Rosa-Luxemburg-Straße, Berlin 1020.