Klassenkampf an der Gulaschkanone

■ Ost-Berlins Oberbürgermeister Tino Schwierzina über seine Kampfgruppenmitgliedschaft

taz: Herr Schwierzina, Sie haben jetzt Ihrer Fraktion gegenüber erklärt, Mitglied einer Betriebskampfgruppe gewesen zu sein. Was war das für eine, und wie sind Sie da reingeraten?

Tino Schwierzina: Diese Betriebskampfgruppe gehörte zu einem Betrieb der Fischwirtschaft, dessen Justitiar ich war. Das war eine ganz normale Kampfgruppe. Ihre Arbeit lag in der Versorgung, wir waren an der Gulaschkanone tätig. Zwei- oder dreimal im Jahr wurden wir aktiv. Ich bin da eingetreten, weil ich in keiner Partei war, weder in der SED noch in einer Blockpartei. Ich wurde immer wieder gedrängt, da reinzugehen. Das betraf ebenso zu diesem Zeitpunkt etwa 400.000 Bürger der DDR. Es war keine Elitetruppe, sondern eine Massenorganisation.

Haben Sie dort jemals Waffen getragen?

Ja, einen Karabiner 98 bei Feldübungen. Munition haben wir aber nie bekommen.

Wieso haben Sie das jetzt erst der Fraktion erklärt?

Weil diese Tatsache plötzlich Bedeutung erlangen sollte. Mir erschien das immer völlig normal. Das war ein regulärer Bestandteil der Vita vieler DDR-Bürger meines Alters.

Soweit ich weiß, stand das in Ihrem Lebenslauf, den Sie vor Ihrer Wahl bekanntgaben, nicht drin.

Nein, da steht das nicht drin.

Deswegen frage ich Sie: Warum erklären Sie das erst jetzt?

Das ergab sich halt so. Ich habe dieser Tatsache keinerlei weitere Bedeutung beigemessen.

Haben Sie vielleicht befürchtet, daß diese Information ihnen schaden könnte, und sie deshalb zurückgehalten?

Nein. Die Fraktion steht doch hinter mir, wie man heute gesehen hat. Das hat nur in den Augen von Wessis etwas Exotisches.

Was hat Walter Momper dazu gesagt?

Der sieht die Sache so, wie sie ist.

Waren Sie — direkt oder indirekt — am Bau der Mauer beteiligt?

Nein. Am 13. August 1961 war ich nachweislich nicht erreichbar sondern mit meiner Freundin spazieren. Am nächsten Tag habe ich mich für vierzehn Tage krankschreiben lassen.

Blieb die Krankschreibung folgenlos?

Nein. Mir wurde danach von der Parteileitung sogar mit Entlassung gedroht. Das konnte aber abgewendet werden. Ich hatte auch schon 1960 Ärger mit der Partei wegen »mangelnden Interesses an der Kampfgruppenarbeit«.

1950 haben Sie Günther Guillaume, dessen Trauzeuge Sie 1951 waren, kennengelernt. Das war beim »Deutschen Komitee der Kämpfer für den Frieden«. Dort haben Sie auch gearbeitet. Als was?

Ich war da als Student auf Honorarbasis beschäftigt. Gearbeitet habe ich im Verlag, weil das Komitee mehrere Zeitschriften herausgab. Ich bin nicht in die Organisation eingetreten, ich habe da gearbeitet wie in einer Bibliothek. Im Februar 1951 haben die mir dann gekündigt.

Wieso?

Weil die mit meiner Arbeit unzufrieden waren. Guillaume hab' ich dann aus den Augen verloren.

Haben Sie einmal das Bedürfnis gehabt, Guillaume wiederzutreffen?

Dieses Bedürfnis ist auf meiner Seite nicht vorhanden.

1968 hatten Sie einen Herzinfarkt und wurden danach zum Invalidenrentner. Wieso haben Sie sich trotz dieser Krankheit entschlossen, den stressigen Posten des Oberbürgermeisters anzunehmen?

Ich hab' viele Jahre »langsam« getreten und bin dann gesundet. Ein Drittel habe ich in dieser Zeit auch gearbeitet. Ich war ein sogenannter »Lohn-Drittler«.

Befürchten Sie, daß Ihre Betriebskampfgruppen-Zugehörigkeit ein Wahlkampfthema werden könnte?

Die Tatsache als solche sicher nicht. Die Frage ist, wie das dargestellt würde. Deswegen haben wir uns bemüht, die Sache im vorhinein aufzuklären, um Gerüchten entgegenzutreten. Nichts ist doch so einfach, wie ein Gerücht in die Welt zu setzen und es mit einem Fragezeichen zu versehen. Schon ist man im Erklärungszwang. Interview: Claus Christian

Malzahn