Die satanischen Brüste Jane Austens

■ Zwei neue englische Zensurdebatten

Zensoren gebührt ein fester Platz in einer gesunden Gesellschaft: zwischen den Stühlen. In der Regel inkriminieren sie mit den falschen Argumenten die falschen Objekte zum Schutz der falschen Gruppen und ihrer falschen Werte. Was Zensoren „Moral“ nennen, hat mit Moral meist nichts zu tun, allenfalls mit sittlichem Geschmack — das ist derjenige, der sich am Anblick erregter Zeugungsorgane noch nicht abgestumpft hat.

England hat eine doppelte Moral zu verlieren: einerseits von der Pressefreiheit großzügigeren Gebrauch zu machen als Deutschland, andererseits prüder zu sein als die meisten mitteleuropäischen Nationen: no sex please, we're British. Kein Wunder also, daß Waghalsigkeiten an der Front der Puritaner wie an der der Anti- Puritaner jedes Mal zu interessantesten Auseinandersetzungen führen, in denen sich beide Seiten geistig in jener Verschlingung zeigen, die man im Sexleben, glaube ich, „69“ nennt.

Im ersten der beiden Fälle, die England gerade beschäftigen, treten religiöse Fundamentalisten und Christenkrieger gegen die Darstellung von Hexen, Zwergen und Fabelwesen in Schul- und Märchenbüchern auf, mit dem Argument, dergleichen Schmonzes berge den Keim von Teufelskult und satanischer Kindsverführung. Hell erwacht schaltete sogleich die Polizei sich ein, konnte aber keines geschändeten Little-Luzifers habhaft werden, weshalb ein Tory-Abgeordneter übernehmen mußte und die „Kampagne gegen Heidentum und Okkultismus“ ins Leben rief. Nun kämpfen sie gegen den Gehörnten in Schulen und Verlagen. Teresa Tomlinson mußte schon ihr Buch Summer Wiches in The Secret Place umtaufen, Autorinnen und Autoren werden ermahnt, bei Lesungen in Schulen den Satan nicht einmal in den Mund zu nehmen, und eine Gesetzeseingabe wird gefordert, die den unter 18jährigen die Teilnahme an Sitzungen okkulter Zirkel verbieten soll.

Spätestens an dieser Stelle aber erheben sich die liberalen Kräfte, die auch schon einmal mit dem Teufel paktieren müssen, um das Recht zu wahren, und verweisen auf jenen lästigen Artikel 18 der Menschenrechte, der dem bürgerlichen Individuum die freie Ausübung seiner Religion gestattet. Ist aber die Abhalten schwarzer Messen noch Religionsausübung? Die Anbetung des Bocksfüßigen ein Grundrecht? Fragen über Fragen, über die Du, Deutschland, besser nicht lachst, hast Du doch in Franz Alt und Heinrich Albertz selber zweie, die wiederholt bekannt haben, an die Existenz des Teufels fest zu glauben. So ist eine Situation entstanden, in der die Verschrobenen dem Saten huldigen, die Reaktionäre ihn per Dekret bannen wollen und die Aufklärer Vernunft mobilisieren, um seine Abbildbarkeit auch künftig sicherzustellen. Wie heißt es doch bei Hemingway: „Man kann nicht siegen.“ Und der Effekt: Nur noch mit schlechtem Gewissen feiern englische Kinder heuer Halloween.

Der zweite Fall ist nicht minder gespenstisch, und er bezieht sich gleichfalls auf ein Objekt, das noch kein Auge erblickt hat. Hierbei handelt es sich um eine Fernsehverfilmung von Jane Austens 1813 erschienenem Roman Pride and Prejudice. Dieses demnächst auszustrahlende Machwerk soll nämlich, wie man der moralischen ejaculatio praecox seiner Kritiker entnehmen kann, mit Szenen „von ausdrücklicher Natur“ aufwarten, anders gesagt, die Macher drohen mit nackten Brüsten und einer entblößten männlichen Vorderfront. Nun sitzen die Lamentierer über solchen Umgang mit klassischer Literatur ausgerechnet bei 'Daily Mail‘ und 'The Sun‘, wo man sich auf Seite drei täglich gegen die menschliche Blöße abhärten kann, ihr 18.Jahrhundert aber wünschen sie bekleidet. So richtig es jedoch ist, daß man auch in jenen Zeiten schon Menschen beiderlei Geschlechts aus der Garderobe pellen konnte — und das soll ja vorgekommen sein — so richtig ist andererseits auch, daß Jane Austen, von der Charlotte Bronte sagte, mit Leidenschaften sei sie gänzlich unvertraut, Nacktheit und körperliche Entrückung nicht einsetzte, und zwar einfach, weil sie sie nicht brauchte. Der Verdacht erhebt sich also nicht zu Unrecht, daß Drehbuchautor Andrew Davies aus seiner Vorlage etwas macht, das nicht in ihr steckt — wie die falschen Eiferer von 'The Sun‘ zu Recht anmerken würden, gäben sie ihren Einsprüchen nur eine weniger moralische als vielmehr eine philologische Begründung. Also wieder: Keine Gewinner, und bei so viel Pech kann es schon nicht mehr an den Fronten, es muß überhaupt am Zensurgedanken liegen. Roger Willemsen