»Den Mythos zerstören«

■ »Ephraim kehrt zur Armee zurück« von Yitzchak Laor im Haus der Kulturen der Welt

Der Kommandeur Ephraim ist Hauptfigur des israelischen Theaterstücks, das am Wochenende im Haus der Kulturen der Welt gespielt wurde. Es beginnt mit einem Interview. Ephraim, gespielt von Dalik Wollinitz, möchte als liberaler Kommandeur gelten. Deshalb läßt er sich vom israelischen Fernsehen interviewen und erzählt den Reportern seine älteste Geschichte: »Wir eroberten ein arabisches Dorf. Ich hatte einen Offizier mit einem osteuropäischen Akzent. Über die Straße ging ein Junge. Der Offizier sagte: Mach' seinen Schulranzen auf, er hat Schmuck drin. Ich öffnete den Ranzen. Es war Schmuck darin. Ich fragte den Offizier: Woher wußtest du das? Er sagte: So haben wir unseren Schmuck rausgeschmuggelt, als die Deutschen kamen.«

Diese Szene spielt als einzige außerhalb von Ephraims Büro. Alles andere geschieht zwischen einem Schreibtisch, einem Feldbett, einem Metallschrank und dem Telefon. Im Hintergrund eine wandgroße Kulisse: Eine arabische Stadt oder ein Lager, weiter blauer Himmel, niedrige Häuser, laufende Menschen, die das V-Zeichen machen. Die ganze Handlung der Personen im Zimmer wird von dieser äußeren Realität bestimmt; über Tonband werden Verhöre auf arabisch, Kommandos und Schreie eingespielt.

Die Handlung in dieser kargen Inszenierung ist simpel und wird in zehn Bildern erzählt: Ephraim will sich als progressiver Militär geben. Er pflegt Kontakte zu palästinensischen Aufständischen und besteht auf einer eingehenden Untersuchung, als durch einen seiner Soldaten ein Araber erschossen wird. Aber im Grunde ist Ephraim ein brutaler Machtmensch. Er unterdrückt seine Geliebte, er mißachtet seine Frau, und mehr als der Mord schockiert ihn die Tatsache, daß ohne sein Wissen eine Geheimorganisation als Selbstschutz der Soldaten gegründet wurde. Der Täter, eines der Mitglieder, wird versetzt, und Ephraim muß sich vor einer Kommission rechtfertigen. Die Untersuchungsbeamtinnen werden von Esty Kosivizki und Sharon Genon-Magid gespielt, die auch Ephraims Frauen darstellen, und sie klagen ihn an, weil er eben nicht gegen das Gesetz verstoßen hat, das Kontakte zur PLO verbietet: »Was hast du schon getan, als ein paar Beweise gegen dich gestreut? Du hast nichts getan.«

Dalik Wollinitz zeigt den typischen israelischen Macho in der Krise, der von einer Ecke in die andere rennt, kommandiert, schreit, seine Untergebene Nechama zum Sex zwingt. Das ständige Schwanken und Pendeln zwischen Menschlichkeit und Brutalität präsentiert Wollinitz mit fuchtelnden Händen, sich überschlagender Stimme, Kommandoton und der völligen körperlichen Erstarrung, als Ephraims Frau Dworka ihn in die Arme schließen will.

Frauen und Militär, Sexualität und Macht: ein weiteres Thema. Ephraims Beziehungen zu Frauen sind fragmenthaft, und weder der jungen Soldatin Nechama noch Dworka gelingt es, wirklich mit ihm allein zu sein. Ständig unterbrechen Soldaten ihre Gespräche, ständig bekommt er neue Nachrichten. An diesen Stellen wirkt das Stück unrealistisch-verzerrt, doch nur so kann Laor Ephraims Welt vorführen. Von der schwangeren Dworka fordert er die Abtreibung — er kann »jetzt« kein Kind gebrauchen. Eindringlich hier Esty Kosivizki in der Rolle der erst giftenden, dann flehentlich bittenden Frau, die so oder so gegen die Wand redet. Ephraims schöner jungen Geliebten ergeht es nicht besser. Am liebsten hat er es, wenn sie ihn bläst: »Dann hat sie den Mund voll und kann nichts sagen.« Sharon Genon- Magid zeigt den Zuschauern die tiefe Demütigung des Mädchens, das seinem Vorgesetzten ausgeliefert ist und ihn naiverweise immer noch anfleht: »Rede mit mir. Rede mit mir!«

Eyal Levi spielt überzeugend den David, Ephraims Adjutanten, der, zappelig und diensteifrig, Ephraim ins Gewissen redet und selber nichts will als versetzt zu werden. Weg, weg, nur weg von diesem Ort. Israelisches Theater lebt von wilden Szenen, Krisen, Auseinandersetzungen. Yitzchak Laor verzerrt gemeinsam mit seiner Gruppe ausdrucksstarker junger Schauspieler aus Tel Aviv diese Tradition ins Groteske, und das an sich lebendige, spannungsreiche Hebräisch tut in den Ohren weh: reduziert auf: »Ja, Kommandeur!« »Nein, Kommandeur!« und: »Hast du deinen Schlagstock dabei?«

Laors Stück, geschrieben 1984, wurde ein Jahr später von der israelischen Zensur verboten. 1988 wurde es wieder erlaubt und die Zensur in Israel auf zwei Jahre ausgesetzt. Laor habe die israelische Armee mit der Wehrmacht verglichen, lautete die offizielle Begründung. Aber der Grund für das Verbot liegt woanders. »Ephraim kehrt zur Armee zurück« ist ein radikaler Angriff auf eine Institution, die in Israel ein nicht wegzudenkender Teil der Gesellschaft ist. Obwohl das Stück vor der Intifada geschrieben ist, nimmt Laor hier die Entwicklung der letzten drei Jahre vorweg. Er will den Mythos zerstören, »daß wir David sind und die anderen Goliath, und zwar nicht nur ein Goliath, sondern gleich vierzehn Goliathe«, wie er seinen Helden Ephraim sagen läßt. Kann ein deutsches Publikum, durch Kopfhörer für Simultanübersetzung, durch Sprach- und Kulturbarriere von den Schauspielern getrennt, verstehen, warum das Stück in Israel so provozierend wirken muß? Laor hat keine Probleme damit, in Deutschland aufzutreten. »Wir sind froh, daß wir nach all den Schwierigkeiten hier spielen können«, sagt er. Aber kann ein deutscher Zuschauer zwischen den Ebenen unterscheiden? Zwischen der israelischen Armee und der Wehrmacht, um die es weder der Zensurbehörde, noch Yitzchak Laor ging? Zwischen der Kritik eines Israelis an seinem eigenen Land und den Vergleichen, die hier aus verdrängtem Schuldgefühl zwischen Israel und Nazi-Deutschland gezogen werden? Vor allem aber zwischen Ephraim, der ohne die Armee nicht leben kann und dem Ephraim, der sein Schuldgefühl pflegt, aus dem er niemals Konsequenzen zieht: »Ich bin Kommandeur in den besetzten Gebieten. Meine ersten Worte, die ich auf arabisch lernte, waren‘Ausgangssperre' und 'Personalausweis‘...« Ayala Goldmann