Posaunomat und stochastischer Sirius

■ Gehört: „Neue Musik zwischen Konstruktion und Intuition“ / Konzert-Dreierpack in der Galerie Rabus

Kalkül oder Zufall, lautet die Frage — es sind polare Gegensätze: Hat Musik mit einem von beiden zu tun? Und wenn ja, ist es dann noch Musik? SkeptikerInnen mögen sich kopfschüttelnd abwenden, vielleicht waren deshalb zwei von drei Konzerten am Wochenende in der Galerie Rabus so schwach besucht. DACAPO veranstaltete hier ein Wochenendkonzentrat mit zeitgenössischer Musik zwischen Konstruktion und Intuition.

Den Anfang machte am Samstagabend der rumänische Schlagzeuger Mircea Ardeleanu mit einem Soloprogramm „konstruierter“ Musik. Aber: was ist das eigentlich? Der griechische Komponist Iannis Xenakis ist einer der überzeugten VertreterInnen des konstruktiven Elements in der Musik. Sein Weg zu einer fertigen Komposition führt oft über mathematische Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Zufallstheorien, so daß, was herauskommt, regelrecht „stochastische Musik“ genannt werden kann.

Das Hörerlebnis von Xenakis Musik hingegen ist von alledem unbelastet. Mircea Ardeleanu führte mit faszinierendem Gespür für sein Instrumentarium die Solokomposition „Psappha“ (1975) auf: Sein Schlagzeugspiel und der literarische Bezug des Stücks zur griechischen Antike eröffneten Sinn und Sinnlichkeit in einer strengen Form.

Zwischen die beiden Pole von Konstruktion und Intuition hatten die VeranstalterInnen den amerikanischen Performance-Künstler Nicholas Collins gesetzt, im Monatsprogramm von DACAPO ausgewiesen als ein Vertreter der von „Traditionsballast unbeschwerten amerikanischen Szene“. Was als Performance jenseits von europäischem Ideologiegezänk angekündigt war, erwies sich dann als skurrile Spielerei für präparierte Posaune, Cassettenrecorder und technisches Hilfspersonal, welches der Künstler selbst darstellte. Doch so eifrig er auch tänzelnde Bewegungen mit seinem Posaunomaten vollführte und zur Tonkonserve eine Art „ganzkörperliches Playback“ vollführte — wir wenigen ZuhörerInnen klatschten erst nach der Aufforderung, daß die Nummer zu Ende sei: Hatten wir uns von der betörenden, nach Fremdsprachenlehrerin klingenden Tonbandstimme, die beständig ein monotones „Je ne comprends pas“ wiederholte, allzusehr programmatisch einstimmen lassen?

Zum Abschluß der Konzertfolge wurde es dann laut Programm intuitiv. Unterstützt vom Deutschen Musikrat gaben das Ensemble für intuitive Musik aus Weimar und Markus Stockhausen ein Konzert mit eigenen Werken und Teilen aus den meditativen Zyklen „Für kommende Zeiten“, „Aus den sieben Tagen“ und „Sirius“ von Karlheinz Stockhausen. Kaum ein anderer Komponist vereint wohl das Motto dieses Wochenendes so sehr in einer Person: Er, der in den 50er Jahren seine Musik so rigide durchplante, daß jegliche Subjektivität zum Fremdkörper wurde, vollführte zehn Jahre später eine radikale Wende. Die Musikerinnen stimmen sich gemeinsam mit einem meditativen Text ein, der gleichzeitig die einzige Vorgabe für das Musizieren ist. Danach ist alles „Ereignis“.

Die Musiker des Weimarer Ensembles beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dieser Musizierform, waren die einzigen „Stockhausianer“ in der ehemaligen DDR und überzeugten jetzt das Bremer Publikum ganz nach Stockhausens Diagnose, was „musikalische Meditation“ denn sei: „Keine Gefühlsduselei, sondern Überwachheit und in den lichtesten Momenten schöpferische Ekstase“. Ulrike Brenning