Psychiater als letzte Instanz

■ Das Urteil gegen Adelheid Streidel KOMMENTARE

Von der Staatsanwaltschaft über die Richter bis zum Pflichtverteidiger war man sich einig: Adelheid Streidel ist eine kranke Frau und eine Gefahr für die Allgemeinheit. Das Urteil — Einweisung in eine psychiatrische Anstalt auf unbestimmte Zeit — wird daher auch in der Öffentlichkeit auf Zustimmung stoßen.

Was unbestimmt tatsächlich bedeutet, darüber haben nun allein die Psychiater zu entscheiden. Für die 43jährige Adelheid Streidel bedeutet es im besten Fall, einige Jahre, im schlechtesten Fall den Rest ihres Lebens in einer geschlossenen Anstalt verbringen zu müssen. In regelmäßigen Abständen werden die Psycho-ExpertInnen nun festzustellen haben, ob und wieweit sich der Zustand der Patientin „gebessert“ hat, werden sie ihre Prognose darüber abgeben, wie groß das Risiko für einen Rückfall ist.

Vor dem Hintergrund des großen öffentlichen Ensetzens, das Adelheid Streidels Tat ausgelöst hat, vor dem Hintergrund der wieder entfachten Kritik an der „Drehtürpsychiatrie“ werden diese Prognosen sicher sehr zurückhaltend und pessimistisch ausfallen. Schließlich ist Adelheid Streidel bereits einmal als „unauffällig“ aus der psychiatrischen Behandlung entlassen worden. Gerade in ihrem Fall wollen sich die Ärzte sicher nicht noch einmal der Kritik aussetzen, sie hätten sich geirrt.

Wenn Adelheid Streidel aber überhaupt noch eine Chance haben will, irgendwann aus der Anstalt rauszukommen, muß sie sich — die psychiatrischen Gutachter haben daran keinen Zweifel gelassen — auf jeden Fall einer Behandlung mit Psychopharmaka unterziehen. Bisher hat sie sich geweigert, zeigt sie weiterhin keine „Einsichtsfähigkeit“, kann sie erneut über eine Gebrechlichkeitspflegschaft dazu gezwungen werden.

Psychopharmaka können eine psychische Krankheit nicht heilen. Das ist hinlänglich bekannt. Wie sie wirken, ist unbekannt. Psychiater und Neurologen behaupten aber, daß sie wirken, indem sie bestimmte Symptome des Wahns dämpfen oder zum Verschwinden bringen — zum Preis von erheblichen Nebenwirkungen.

Im Pflegebereich, gerade auch in den Psychiatrien, gibt es einen eklatanten Personalmangel, und „sedierte“, also ruhiggestellte PatientInnen sind in der Regel leichter zu handhaben. Vor diesem Hintergrund scheint die Forderung nach einer anderen Therapie — ganz weg von den Medikamenten — ohne jegliche Aussicht auf Erfolg. Es geht auch nicht um ein bißchen mehr Psycho- oder Gruppentherapie, um etwas mehr offene Kliniken. „Verrückte“ brauchen ein dauerhaftes, stabiles soziales (Betreuungs)Netz, das auch in Phasen, in denen die fixen Ideen und Vorstellungen akut hervortreten, hält. Wo soll das herkommen in einer sozial desintegrierten Gesellschaft mit kostengedämpfter Gesundheitspolitik? Ulrike Helwerth