piwik no script img

Die japanische Wirtschaftsmacht verbeugt sich

Zur kaiserlichen Inauguration: Funktionieren Nippons Unternehmen wie das Tennosystem? Teil eins eines zweiteiligen Berichts  ■ Aus Tokio Georg Blume

In Reih' und Glied werden sie am kommenden Montag vor dem Kaiser stehen, Nippons mächtige Konzernchefs, Wirtschaftsbürokraten und Vorstandsvorsitzende. Noch einmal wird alles so wie damals sein. Dann werden die Herren von Mitsubishi, Toyota und Sony, vor deren Wirtschaftsmacht die Welt erzittert, ihr Haupt bis zu den Knien beugen. Nirgendwo anders haben sie das mehr nötig. Und dreimal werden sie ihre Stimme heben: „Bansai! Bansai! Bansai!“ Das ist der alte kaiserliche Kriegsruf — „Es lebt der Tenno, zehntausend Jahre lang.“

Der Anlaß könnte nicht historischer sein. Am Montag besteigt der nach der Legende 125ste Nachkomme der Sonnengöttin Amaterasuden den japanischen Kaiserstuhl. Kaiser Akihito nimmt endgültig den Platz seines im Januar 1989 verstorbenen Vaters Hirohito ein. Für Nippon bricht damit im religiös-historischen Sinne ein neues Zeitalter an. Staatsgäste aus über 150 Ländern werden anwesend sein, natürlich auch die gesamte japanische Regierungsspitze, doch schließlich zählen auch Nippons Wirtschaftslenker zu den Geladenen der offiziellen Thronbesteigung im Tokioter Kaiserpalast. Sind japanische Wirtschaftsbosse immer noch kaisergläubig?

Das scheinbar widersprüchliche Verhältnis zwischen der raschen Modernisierung Japans seit der Öffnung zum Westen und dem Erhalt eines dem japanischen Aberglauben entnommenen Gottkaisersystems verwirrt die Gelehrten seit hundert Jahren. Nach herläufiger Auffassung währte diese unheimliche Symbiose bis 1945. Seitdem besitzt Japan eine moderne westliche Verfassung, wo der Tenno, der „Erhabene des Himmels“, lediglich als „Symbol des Volkes“ fungiert. Im Land entwickelte sich eine moderne Marktwirtschaft. Das Tenno-Regime gilt als abgeschafft. Und doch gibt es Zweifel an dieser einfachen japanischen Geschichtslektion auf. Warum muß oder will sich Sony-Chef Akio Morita am Montag ausgerechnet vor dem Tenno verbeugen?

Auffällig ist, wie offenkundig sich Nippons Unternehmerschaft immer wieder für die Belange des Kaiserhauses engagiert. „Das Interesse der Bürger an der Kaiserkrönung ist niedrig. Wahrscheinlich ist die Regierung werbemäßig nicht aktiv genug“, befand Rokuro Ishikawa, Vorsitzender der japanischen Industrie- und Handelskammer, der Shokoukaigi-sho, und organisierte kurzerhand in jeder japanischen Provinz ein „Unternehmerkomitee für die kaiserlichen Festlichkeiten“. Als Kriegskaiser Hirohito vor zwei Jahren monatelang auf dem Sterbebett lag und die Nation zur vorzeitigen Trauer verpflichtete, reagierten die Großkonzerne als erste. Toyota stoppte prompt eine Plakatkampagne mit dem Slogan „Die Freude am Leben“, Nissan verzichtete auf den Werbespruch: „Es steht alles zum besten in der Welt“. Alle anderen Firmen folgten damals diesem Tenor. Freiwillig nahmen die Unternehmen, insbesondere Warenhausketten und Hotelgruppen, Umsatzrückgänge von etwa zwei Milliarden Dollar in Kauf — Hirohito zu Ehren.

So viel Respekt für den Tenno ist schon deshalb verwunderlich, weil die Manager in Tokios Chefetagen den Politikern des Landes herablassend und respektlos begegnen. Takashi Ishihara, Präsident des Nissan- Konzerns und Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Keizaidoyukai, eine der großen Figuren in der japanischen Industrie, gibt dafür ein Beispiel. Im Gespräch verweist der lebhafte 78jährige immer wieder auf das Versagen der Politiker seines Landes. „Sie können in Japan überleben, auch wenn sie sich nur um die Innenpolitik kümmern“, schimpft er herzhaft und fügt hinzu: „Die Politiker reden über die Mehrwertsteuer, während sich die Welt bewegt und die Berliner Mauer stürzt.“ Gemeint sind die Regierungschefs, Minister und Parteisekretäre, denen laut Ishihara die „Weitsicht“ fehlt, nicht aber das politische System samt Kaiserhaus. „Die Amerikaner haben den Tenno richtig behandelt“, betont der Nissan-Chef voller Dankbarkeit für die US-Besatzungsmacht ab 1945, die Hirohito und die kaiserliche Institution leben und überleben ließ, obwohl er verfassungsgemäß die Verantwortung für den Krieg getragen hatte. Ishihara gibt sofort zu verstehen, daß Vorbehalte gegenüber dem Kaiser für ihn außer Frage stehen. Dabei sprühte er kurz zuvor im Gespräch noch vor Kritiklust am politischen System.

Natürlich gibt es Unternehmen, die dem Kaiserhaus aus alter Tradition verpflichtet sein mögen. So feiert die Mitsubishi-Konzerngruppe, die größte Unternehmensgruppe auf der Welt, in diesem Monat den hundertjährigen Jahrestag des Landaufkaufs neben dem Tokioter Kaiserpalast, der es erlaubte, ein ganzes „Mitsubishi-Dorf“ im Herzen der Hauptstadt zu errichten. Für Mitsubishi, wie die Firma noch heute gerne betont, war der Tenno stets der liebste Nachbar. Doch können solche Sympathien zur Erklärung für die Kaisertreue japanischer Unternehmen gereichen? Sicher nicht.

Seit den fünfziger Jahren weisen die Überlegungen des Tokioter Politologen Masao Maruyama auf eine tiefer verankerte Strukturanalogie zwischen Unternehmen und Kaiserhaus in Japan hin. Nippons berühmtester Nachkriegsintellektueller stipulierte: „Die japanischen zaibatsu, in denen verschiedene Wirtschaftszweige wie Banken, Industriebetriebe und Handelsunternehmungen jeweils unter einem als Holdinggesellschaft auftretenden 'Haupthaus‘ vereint waren, stellen in ihrer Struktur jeweils kleine Tennosystem-Staaten dar.“ Seine damals revolutionäre Behauptung, ursprünglich auf die großen Vorkriegskonzerne (zaibatsu) hin verfaßt, läßt sich leicht in die Gegenwart der Nachkriegs-keiretsu hinüberholen, die der informell koordinierten Firmengruppen. Dann lautet die Frage, die auch heute noch in Japan Unbehagen hervorruft: Finden alte Prinzipien, die dem Kaisersystem immanent sind, noch heute ihren Ausdruck in der japanischen Betriebsorganisation?

(Teil 2 erscheint morgen; -Red.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen