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Des Kaisers unternehmerische Verantwortung

Wie Nippons Konzerne die politischen Raffinessen des Kaiserhauses kopieren — und Manager zurücktreten müssen  ■ Aus Tokio Georg Blume

(Der erste Teil dieses Berichts erschien in der taz vom 8.11.)

Der Bankentenno stürzte völlig unvermutet. Am 7. Oktober gab Ichiro Isoda, der weltweit gepriesene „Sumitomo-Eroberer“ und Nippons erfolgreichster Bankdirektor der letzten zwanzig Jahre, unvermittelt seinen Rücktritt bekannt. Was war passiert — Bestechung? Eine neue Geisha-Affäre? Nichts dergleichen.

Der „Isoda-Tenno“, wie die Presse ihn auch nannte, stürzte über die illegalen Geschäfte eines unbekannten Filialleiters in der Sumitomo-Außenstelle von Yokohama. Westliche Bankleute in Tokio wollten der Geschichte zunächst keinen Glauben schenken. Vergleichbar wäre, wenn der Daimler-Benz-Konzern seinen Vorsitzenden Edzard Reuter opfert, weil ein Mercedes- Händler in Freiburg unsaubere Geschäfte abgewickelt hat. „Es ist nur selbstverständlich, daß ich die Verantwortung trage“, beteuerte hingegen Ichiro Isoda und lieferte das aktuelle Musterbeispiel für ein Verantwortungsverständnis, das schon in der japanischen Kaiserzeit selbstverständlich war. Denn Nippons moderne Manager verbindet mehr mit der Vergangenheit, als sie zugeben würden. Immer noch bedienen sich japanische Unternehmen alter, oft unerkannter kaiserlicher Methoden — so auch der Bankentenno.

Ichiro Isoda kann in seinem Fall nur symbolische Verantwortung übernehmen. Den Täter kannte er nicht. Ihm geht es jedoch um die Ehrenrettung für seinen Betrieb, weniger um den konkreten Vorfall. Seine Verantwortung übernimmt er unabhängig vom vorliegenden Regelverstoß für das ganze Unternehmen.

Als 1923 ein Fanatiker einen Attentatsversuch auf den Kronprinzen verübte, beschrieb der damals in Tokio lebende deutsche Universitätslehrer Lederer die japanische Reaktion: Das gesamte Kabinett trat zurück, sämtliche „Verantwortlichen“ der Polizei bis zum Straßenpolizisten verloren ihren Job, das Heimatdorf des Attentäters trat in Trauer, und seine ehemaligen Lehrer, die den Unseligen erzogen hatten, gaben ihre Ämter auf. Lederer verstand die Reaktionen nicht. Die reuigen Japaner haben freilich damals wie der Bankdirektor Isoda heute Verantwortung fürs Ganze übernommen. Der Tokioter Politologe Masao Maruyama erkennt darin eine „Ethik der grenzenlosen Verantwortlichkeit“. Sie gilt heute der Firma, wie sie früher dem Kaiser galt.

Im Denkmuster, das eine „eindeutige Bestimmung des Entscheidungssubjektes vermeidet“, sieht Maruyama die grundlegene strukturelle Ähnlichkeit zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere den Unternehmen, und dem Kaiserhaus: Persönliche Verantwortung läßt sich nicht festlegen. Damit ist auch die politische Dimension der japanischen Verantwortungsmoral benannt. Die unantastbare Autorität des Tennos, der nach Japans alter Verfassung sämtliche Staatsentscheidungen verantwortete, jedoch letztlich nie persönlicher Entscheidungsträger war, symbolisiert ein kunstvoll arrangiertes System der Machtverschleierung. Gerade dies läßt sich noch heute gut gebrauchen.

Fragt man nach den höchsten Entscheidungsträgern bei japanischen Großkonzernen, gibt es selten klare Antworten. In der Mitsubishi Corporation verweist ein Sprecher bescheiden auf ein „Corporate Planning Office“, daneben nennt er die allmonatliche Direktorenversammlung. Eine einzelne Person zu benennen aber käme nicht in Frage. Yoshio Taniguchi, der ehemalige Vize-Generaldirektor und nunmehrige Vorsitzende des Daimler-Benz-Kooperationsprojektes bei Mitsubishi, antwortet auf die Frage, wie für ihn die Entscheidung seines Aufgabenwechsels gefallen sei: „Es ist fragwürdig, hier persönliche Gedanken zu äußern. Die Bedeutung solcher Gedanken ist deshalb so gering, weil es unmöglich ist, ein Projekt allein zu betreiben.“ Taniguchi fällt die Antwort offenbar schwer; er benennt weder eine einzelne Person noch ein Gremium als Entscheidungsträger. Vermutlich kann er es gar nicht.

Denn Entscheidungen in japanischen Unternehmen lassen sich nur selten auf einen klar erkennbaren Ursprung zurückführen. Taucht in der Firma eine neue Idee auf, lassen die Manager sie oft lange Zeit zirkulieren. Damit entsteht langsam ein allgemeiner und im Westen oft bewunderter Konsens. Dabei haben sich letztlich soviele Mitarbeiter mit dem neuen Gegenstand beschäftigt, daß es sinnlos wäre, nach einem einzelnen Entscheidungsträger zu fragen.

Masao Maruyama glaubt, daß die in Japan so oft erkennbare „grenzenlose Verantwortlichkeit jederzeit in gigantische Verantwortungslosigkeit umschlagen“ kann. Denn niemand im japanischen System ist haftbar für eine Fehlentscheidung, ob in Betrieb oder Regierung. Beim Automobilkonzern Nissan etwa gingen Jahre der Mißwirtschaft ins Land, bevor das Unternehmen reagierte. Dann schließlich senkte Präsident Takashi Ishihara Mitte der achtziger Jahre die Gehälter aller Beschäftigten, und in einer gemeinsamen Anstrengung rappelte sich die Firma wieder hoch. Selbstverständlich wurden bei Nissan nie die Schuldigen der vorausgegangenen Mißwirtschaft namhaft gemacht.

Nicht viel anders verlief ein Teil der japanischen Kriegsgeschichte. Nach Verantwortlichen für den Völkermord und Faschismus im 2. Weltkrieg hat Nippon in den Reihen der Nation nie gesucht. Zwar inszenierte die US-Besatzungsmacht 1946 einen Kriegsverbrecherprozeß, doch glaubte die Mehrzahl der Japaner offenkundig, daß alle den gleichen Anteil an diesem „Unglück“ hatten.

Ob für Nissan oder das Kaiserhaus — immer geriet es den Herrschenden zum Vorteil, daß unter ihnen keine persönliche Schuld zugesprochen wurde. Einzelpersonen traten nicht hervor. Eigennamen sind unbedeutend. Kein Wunder, daß in Europa niemand die bedeutendsten Manager der Welt kennt.

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