Ohne Lehne

■ „Schergen bringen Glück...irgendwohin“: Ilja Richters Gedenkprogramm im Brauhaus

Das Ausweichquartier des Bremer Theaters, tief unten im Keller: ein abblätterndes Gewölbe, ein paar Bänke zum Sitzen; die Bühne: ein schwarzer Stuhl, ein schwarzer Schrank, eine Mülltonne. Der Rücken sehnt sich nach einer Lehne.

Brüchig von Anfang an ein Lied von Georg Kreisler, „Ich fühl' mich nicht zuhause“, das Lied eines heimatlosen Juden, der am Ende in sein stetl zurückkehrt, aus dem er geflüchtet war. Jetzt weiß er: ein anderes Zuhause als die Heimatlosigkeit hat er nicht — und den tiefen Selbsthaß, für den Richter noch reichlich Beweise liefert von Marx bis Tucholsky.

Georg Kreislers Lieder voller schwarzem Humor (bis auf das erste von Ilja Richter gesungen, der, nur mit einer Kreislerschen Hornbrille und ein paar Gesten, wunderbarerweise plötzlich statt lang und dünn klein und rund wie der leibhaftige Kreisler aussieht) sind der rote Faden durch Ilja Richters Programm zum 9. November, und er vereint darin, was vor kurzem unsere Dichter(innen) und Denker(innen) in den Gazetten heftig umtrieb: die so gegensätzliche Bedeutung dieses Datums, einerseits Reichspogromnacht, andererseits Öffnung der Mauer.

hierhin bitte

Ilja Richter

und Begleitung

Ilja Richter, Viola Morlinghaus

Aber für Richter gibt es da kein Dilemma: Er will ja keinen Nationalfeiertag begehen, und im Kabarett hat er gerade das im Blick, das scheinbar so weit auseinanderliegt.

So erzählt er von einer Taxifahrt durch Wien, die er als Jugendlicher erlebte — und wie er sie erzählt, fühlt man sich unmittelbar dabei: Der Taxler, ein genuines Exemplar von Qualtingers Herrn Karl, mustert seinen Fahrgast durch den Rückspiegel und fragt: Sans a Jud?

Mit dem Antisemitismus hatten die Österreicher ja noch nie Probleme, der ist für sie so alt und „natürlich“ wie das Alpenglühn urdeutsch. Und Kreislers Alpenglühn bringt Ilja Richter zu einem alten Neuss-Text von 1965: „Warum ich mich auf die Wiedervereinigung freue“ — weil die Mauer dann nach Osten verschoben werden wird, zur polnischen Grenze.

Ilja Richter liebt die Mischung aus Banalem und Makabrem. In seinem Friedenslied liebt die ganze Fernseh-Vor- und Abend- Bagage von Miss Ellie bis Frank Elstner nichts als den lieben Frieden, in seinem Sketch vom SS-Mann mutiert dieser zum Ess-Ess-Mann, der immer brav alles aufißt, bis er am Ende, erzogen zum autoritären Charakter, eine schöne Armbinde bekommt: statt des Hakenkreues kreuzen sich Messer und Gabel.

Hinter Richters Lust am Spiel mit dem Absurden spürt man stets eine große Melancholie: Lustig ist es nicht, aber recht herzhaft zum Lachen. Christine Spiess